Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. keine Kostenerstattung für eine Helmtherapie. keine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses. Kopforthese. Neue Behandlungsmethode. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Hilfsmittel. Unaufschiebbarkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Hilfsmittel kann im Rahmen der Krankenbehandlung nicht getrennt von dem zu Grunde liegenden Behandlungskonzept und den dafür geltenden Anforderungen nach § 2 Abs 1 S 3, § 12 Abs 1 SGB 5 iVm § 135 Abs 1 SGB 5 betrachtet werden (Anschluss an BSG vom 28.9.2006 - B 3 KR 28/05 R = BSGE 97, 133 = SozR 4-2500 § 139 Nr 2).

2. Die Helmtherapie gehört nicht zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung, da es an der erforderlichen Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 135 SGB 5 fehlt.

3. Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 S 1 Alt 1 SGB 5 kann mit dem Unvermögen der Krankenkasse zur rechtzeitigen Erbringung einer unaufschiebbaren Leistung nur begründet werden, wenn es dem Versicherten aus medizinischen oder anderen Gründen nicht möglich oder nicht zuzumuten war, vor der Beschaffung die Krankenkasse einzuschalten.

 

Normenkette

SGB V § 13 Abs. 3 S. 1, § 33 Abs. 1 S. 1, § 135 Abs. 1 S. 1, § 2 Abs. 1a

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 8. Juni 2011 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für eine Kopforthese (Helmtherapie) in Höhe von 1.687,58 EUR.

Die am …2009 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie litt unter einem Plagiocephalus (Schiefschädel). Die Seitendifferenz betrug am 17. September 2009 12 mm, am 12. Januar 2010 10 mm. Am 17. September 2009 verordnete ihr Dr. T…, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Spezielle Orthopädische Chirurgie, Zusatzbezeichnung Kinderorthopädie, Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Orthopädie des Universitätsklinikums C… G… C… an der Technischen Universität D…, eine wachstumslenkende Helmversorgung nach Maß. Ausweislich des Kostenvoranschlages der Firma Orthopädie- und Rehatechnik in D… GmbH vom 21. September 2009 sollten sich die Kosten hierfür auf 1.687,58 EUR belaufen.

In einem Arztbrief vom 17. September 2009 teilte Dr. T… mit, der Familie der Klägerin erklärt zu haben, dass bei der vorliegenden occipitalen Fehlform bis zum ersten Lebensjahr die Chance einer spontanen Nachreifung bestehe. Weiter habe er der Familie erklärt, eine Möglichkeit zur sofortigen Behandlung stelle die Helmtherapie dar (B 16-17). Zielstellung dieser Therapie sei die Verhinderung der Lagerung der Klägerin in der durch die Kopffehlform vorgegebenen Stellung. Durch die Möglichkeit der verbesserten Seitneige des Kopfes komme es zu einer verbesserten Nachreifung der Schädelform.

Auf den Antrag der Mutter der Klägerin auf Versorgung ihrer Tochter mit einer Kopforthese holte die Rechtsvorgängerin der Beklagten nach Vorlage einer Fotodokumentation durch Dr. T… eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) von Dr. U…, Fachärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin, Ärztliche Gutachterin, ein. Sie teilte in ihrer Stellungnahme vom 24. September 2009 mit, der therapeutische Nutzen einer konservativen Behandlung von lagerungsbedingten Schädeldeformitäten mit Kopforthesen sei wissenschaftlich nicht ausreichend belegt. Das Auftreten von nachhaltigen Folgeschäden im Sinne von Funktionsdefiziten sei nicht belegt. Als Alternative komme eine konsequente Lagerungstherapie in Betracht.

Mit Bescheid vom 5. Oktober 2009 lehnte die Rechtsvorgängerin der Beklagten die Übernahme der Kosten für die "Kopforthesentherapie" unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des MDK vom 24. September 2009 ab. Die Kopforthesentherapie gehöre nicht zu den allgemein anerkannten schulmedizinischen Behandlungsmethoden. Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürften in der vertragsärztlichen Versorgung zulasten der Krankenkassen nur abgerechnet werden, wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (gemeint: der Gemeinsame Bundesausschuss) Empfehlungen - unter anderem über die Anerkennung des diagnostischen oder therapeutischen Nutzens dieser Methode - abgegeben habe. Dies sei hier nicht der Fall.

Hiergegen legte die Mutter der Klägerin am 13. Oktober 2009 Widerspruch ein.

Daraufhin veranlasste die Rechtsvorgängerin der Beklagten unter dem 16. Oktober 2009 eine Begutachtung durch den MDK.

Zum 1. Januar 2010 fusionierte die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit der Barmer Ersatzkasse.

Zum Zwecke dieser Begutachtung hatte der Orthopädiemechanikermeister B… insbesondere folgende Maße des Schädels der Klägerin ermittelt (E-Mail vom 13. Januar 2010):

vom unbearbeiteten Gipspositiv am 17. September 2009:

rechts vorn -≫ links hinten 133 mm

links vorn -≫ rechts hinten 121 mm;

unmittelbar vom Schädel der Klägerin entnommene Maße vom 12. Januar 2010:

rechts vorn...

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