Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Klagerücknahmefiktion. Anforderungen an eine Betreibensaufforderung. Verknüpfung mit anderen Instrumenten zur Verfahrensförderung oder Verfahrensbeendigung. widersprüchliche Verfahrensweise in Aufforderungsschreiben des Gerichts
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Betreibensaufforderung, in welcher unterschiedliche Fristen und in wechselnder Reihenfolge ohne jede klar erkennbare und eindeutige Struktur die prozessualen Mittel des § 102 Abs 2 SGG, des § 106a Abs 3 SGG und des § 105 Abs 1 SGG verknüpft werden, genügt nicht den Anforderungen aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung.
2. Die Aufforderung auf der Grundlage von § 106a Abs 2 SGG, konkrete bezeichnete Angaben zu machen, einerseits und das Inaussichtstellen einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid andererseits schließen sich aus. Wenn das Sozialgericht von einem noch bestehenden Ermittlungs- oder Aufklärungsbedarf ausgeht, darf es nicht zugleich mit der Aufforderung nach § 106a Abs 2 SGG den Hinweis auf seine Absicht, durch Gerichtsbescheid entscheiden zu wollen, verbinden, weil die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid tatbestandlich unter anderem voraussetzt, dass der Sachverhalt geklärt ist.
3. Ein Hinweis auf die Zurückweisungsmöglichkeit nach § 106a Abs 3 S 1 SGG und die gleichzeitige Betreibensaufforderung nach § 102 Abs 2 SGG widersprechen sich. Denn wenn vom Sozialgericht konkrete Angaben für die Prüfung, ob die Klage begründet ist, gefordert werden und dies mit dem Hinweis auf die Zurückweisungsmöglichkeit nach § 106a Abs 3 S 1 SGG verbunden wird, impliziert dies, dass die Klage statthaft und auch im Übrigen zulässig ist.
4. Der parallele Erlass einer Betreibensaufforderung und eine Anhörung zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid sind nicht stimmig.
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 10. Januar 2018 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Chemnitz zurückverwiesen.
II. Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung, dass das Klageverfahren durch Klagerücknahmefiktion nach § 102 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beendet sei. Im Streit stehen Ansprüche des Klägers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweiten Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) im Zeitraum vom 1. März 2011 bis zum 31. Juli 2011 und insoweit die Erstattung einer Überzahlung in Höhe von 1.703,40 EUR nach endgültiger Festsetzung.
Der Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 30. Dezember 2010 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 26. Januar 2011, 11. Februar 2011, 28. März 2011 und 3. August 2011 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Bewilligungszeitraum vom 1. Februar 2011 bis zum 31. Juli 2011.
Der Kläger teilte nachfolgend das tatsächlich von ihm erzielte Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit mit.
Der Beklagte setzte sodann mit Bescheid vom 20. Oktober 2011 den Leistungsanspruch des Klägers für den Zeitraum vom 1. März 2011 bis zum 31. Juli 2011 endgültig fest und forderte zu Unrecht erhaltene Leistungen in Höhe von insgesamt 1.703,40 EUR zurück.
Den Widerspruch des Klägers, mit welchem er geltend machte, dass zu hohes Erwerbseinkommen angerechnet worden sei, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 2011 zurück.
Der Kläger hat am 26. Januar 2012 Klage (Az. S 14 AS 347/12) erhoben. Nicht die einzelnen Monate, sondern zum Beispiel ein Jahr müsse Berücksichtigung finden. Um sich selbstständig zu machen, habe er von seinen Eltern einen Kredit in Höhe von 5.300,00 EUR erhalten und diesen bis auf 300,00 EUR zurückgezahlt. Zudem seien noch keine Nebenkosten und Reparaturanteile als Ausgaben berücksichtigt worden. Eine Rückforderung würde bedeuten, rückwirkend Kranken- und Rentenversicherung sowie Miete nachzuzahlen. Dies bedeute für ihn das Existenzaus. Alle Unterlagen würden in Kopie übersandt.
Mit Schreiben vom 30. April 2012 hat das Sozialgericht den Kläger um Übersendung von Belegen für die Rückzahlung des Darlehens (Quittungen, etc.) gebeten.
Mit Schreiben vom 30. Mai 2012 hat der Kläger mitgeteilt, dass es keine weiteren Belege oder Quittungen hinsichtlich des Darlehens gäbe. Das Geld sei von Bank zu Bank mit der Angabe des Verwendungszwecks übermittelt worden. Die Kontoauszüge würden vorliegen.
Der Beklagte hat mit Schreiben vom 31. Mai 2012 hierzu Stellung genommen und erklärt, dass die vorgelegte betriebswirtschaftliche Auswertung mit den später eingereichten weiteren Nachweisen Grundlage für die streitgegenständliche Entscheidung gewesen sei. Die Rechnung für das Gründercoaching über 1.160,00 EUR datiere auf den 6. März 2012 und könne daher im streitgegenständlichen Zeitraum keine Berücksichtigung finden. Für die Rückzahlung des Darlehens würden keine Bele...