Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn der Rechtsmittelfrist bei nicht feststellbarer Aufgabe zur Post des Bescheides
Orientierungssatz
1. Nimmt die Behörde bei einem Verwaltungsakt keine Zustellung vor, so gelten die allgemeinen verfahrensrechtlichen Regelungen in § 37 SGB 10 über die Bekanntgabe von Verwaltungsakten.
2. Voraussetzung für die Bekanntgabefiktion des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB 10 ist die Feststellung des Zeitpunktes, zu dem der maßgebende Verwaltungsakt zur Post gegeben worden ist. Nur bei einer hinreichenden Dokumentation stellt der Postaufgabetag eine Tatbestandsvoraussetzung für die gesetzliche Bekanntgabefiktion dar.
3. Es besteht weder ein Anscheinsbeweis noch ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass ein Bescheid am Tag seiner Herstellung bzw. seiner Datierung auch zur Post gegeben wird.
4. Kann der Zeitpunkt, an dem der Bescheid zur Post gegeben wurde, nicht bestimmt werden, so fehlt für die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB 10 die Grundlage. Dies hat zur Folge, dass eine Berechnung der Rechtsmittelfrist wegen des nicht bestimmbaren Ausgangszeitpunktes unmöglich ist.
Tenor
I. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 10. Februar 2009 wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Dresden zurückverwiesen.
II. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich mit der Berufung dagegen, dass seine Klage als unzulässig verworfen worden ist. In der Sache sind zwei Aufhebungs- und Erstattungsbescheide streitig.
Die Beklagte bewilligte dem 1967 geborenen erwerbsfähigen Kläger mit Bescheid vom 18. August 2006 oder 21. August 2008 Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 1. September 2006 bis 28. Februar 2007 in Höhe von 662,25 EUR monatlich. Mit weiterem Bescheid vom 18. August 2006 oder 2. Juli 2007 bewilligte sie Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 1. März 2007 bis 30. Juni 2007 in Höhe von 662,25 EUR und vom 1. Juli 2007 bis 31. August 2007 in Höhe von 644,25 EUR monatlich.
Der Kläger zeigte mit Veränderungsmitteilung vom 2. November 2006, bei der Beklagten am selben Tag eingegangen, an, dass er ab 1. November 2006 eine Tätigkeit mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 36 Stunden aufgenommen habe. Das Bruttoentgelt betrage ca. 990,00 EUR, das Nettoentgelt ca. 800,00 EUR. Die erste Lohnzahlung werde zum 15. Dezember 2006 erfolgen. Das Arbeitsverhältnis kam in Folge eines Vermittlungsvorschlages der Beklagten vom 20. Oktober 2006 zustande. Der Arbeitsvertrag vom 1. November 2006 wurde auf der Grundlage des Anerkennungsbescheides der Beklagten vom 25. Oktober 2006 für die ABM-Nr. 228/06 geschlossen und war zunächst auf ein halbes Jahr bis zum 30. April 2007 befristet. Tatsächlich endete die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme aber erst am 31. Oktober 2007.
Am 27. September 2007 sprach der Kläger bei der Beklagten wegen eines Fortzahlungsantrages vor. Aus dem Aktenvermerk über dieses Gespräch ergibt sich unter anderem, dass der Kläger äußerte, ihm sei an der Information der Beklagten erklärt worden, dass sich die Beklagte hinsichtlich der Einkommensanrechnung mit ihm in Verbindung setzen werde.
Mit Schreiben vom 3. Dezember 2007 oder 5. Dezember 2007 hörte die Beklagte den Kläger zu der beabsichtigten Teilaufhebung der Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 1. Dezember 2006 bis 31. August 2007 und der damit verbundenen Erstattungsforderung an. Der Kläger wiederholte im Schreiben vom 16. Dezember 2007 seinen bisherigen Vortrag.
Unter dem 20. Februar 2008 erließ die Beklagte zwei Aufhebungs- und Erstattungsbescheide. Der eine betraf den Zeitraum vom 1. Dezember 2006 bis 28. Februar 2007 und einen Erstattungsbetrag in Höhe von 1.609,78 EUR, der andere den Zeitraum vom 1. März 2007 bis 31. August 2007 und einen Erstattungsbetrag in Höhe von 3.193,80 EUR. In beiden Fällen wurden die Aufhebungsentscheidungen auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) gestützt.
Mit Schreiben vom 14. März 2008 legte der Kläger Widerspruch gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid mit der Gesamtforderung in Höhe von 4.803,58 EUR ein. Diesen wies die Beklagte mit zwei Widerspruchsbescheiden vom 14. Mai 2008 (Az.: 07402BG0042534 - W 4601/08 und 07402BG0042534 - W 6366/08 -) zurück. Auf beiden in der Verwaltungsakte befindlichen Fassungen der Bescheidentwürfe findet sich links oben der handschriftliche Eintrag “Entwurf„ und darunter der Datumsstempel “13. 5. 08„ sowie das Handzeichen “Wozn.„. Rechts oben unterhalb des Feldes mit dem Wappen des kommunalen Trägers, dem Namen der Beklagten und dem Signet der Bundesagentur für Arbeit sowie im Betrefffeld hinter der Angabe “Datum:„ findet sich jeweils der Datumsstempel “14. Mai. 2008„. Beide Bescheidentwürfe sind von der zuständigen Mitarbeiterin der Beklagten unterschrieben.
Der Kläger hat mit Schreiben vom 8. Juni 2008, abgesandt am 17. Juni 2008 und eingegangen bei...