Verfahrensgang
SG Chemnitz (Urteil vom 05.06.1997; Aktenzeichen S 15 P 59/96) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 05.06.1997 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Pflegegeld der Pflegestufe I ab 10.09.1995 mit Ausnahme des Zeitraumes vom 29.09.1996 bis 13.10.1996 zu zahlen. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob dem derzeit vier Jahre alten und an Diabetes mellitus erkrankten Kläger ab September 1995 Pflegegeld bei häuslicher Pflege zusteht.
Der am … geborene und bei der Beklagten familienversicherte Kläger erkrankte im Juli 1995 an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ I. Er wird zu Hause vor allem von seiner Mutter und zeitweise auch von seiner Großmutter. – etwa während einer zeitweise von der Mutter ausgeübten Teilzeitbeschäftigung nach Ablauf des Erziehungsurlaubs – betreut. Vom 24.08. bis 09.09.1995 erhielt der Kläger vollstationäre Krankenhausbehandlung zur Ersteinstellung im Diabeteszentrum des Klinikums Karlsberg. Im Zeitraum vom 01.09. bis 13.10.1996 befand sich der Kläger in Begleitung seiner Mutter stationär im Reha-Zentrum für Stoffwechselerkrankungen in Putbus/Rügen. Das Amt für Familie und Soziales Chemnitz stellte mit Bescheid vom 18.12.1995 beim Kläger als Folge der Zuckerkrankheit einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 sowie die Voraussetzungen für das Merkzeichen „H” fest.
Am 19.09.1995 beantragte die Mutter für den Kläger die Gewährung von Pflegegeld. Daraufhin erstellte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) in Zwickau zwei Gutachten über den Pflegebedarf des Klägers. Beide Gutachten kamen zu dem Ergebnis, daß die Voraussetzungen der Pflegebedürftigkeit nicht vorliegen:
Dr. … stellte bei einem Hausbesuch am 29.01.1996 fest, daß der Kläger vier mal täglich Insulininjektionen erhalte und alle zwei Wochen zum Arzt gebracht werde. Die Mutter pflege ihn drei mal täglich, aber insgesamt pro Woche weniger als 14 Stunden. Aus dem Befundheft des behandelnden Arztes ließen sich ständig wechselnde Blutzuckerwerte entnehmen. Der Kläger könne sich nur bedingt selbständig sauberhalten und kleiden, essen und trinken sowie ruhen und schlafen, sei in bezug auf die sonstigen Aktivitäten des täglichen Lebens aber selbständig. Wenn er sich nachts ab und zu rühre, müsse die Mutter die Blutzuckerwerte messen. Ein bei der Bestimmung der Pflegebedürftigkeit zu berücksichtigender Hilfebedarf bestehe nur im Bereich der Ernährung, und zwar für das mundgerechte Zubereiten der Nahrung sechs mal am Tag. Der vermehrte Aufwand der Mutter bei der Zubereitung der Nahrung, für die Blutzuckerkontrolle und für die Insulinspritzen betrage täglich sechs Stunden; dies seien jedoch Leistungen der Krankenversicherung.
Im Gutachten von Dr. … aufgrund eines Hausbesuchs am 17.04.1996 ist ausgeführt, daß die Mutter den Kläger fünf mal täglich und insgesamt mindestens 21 Stunden pro Woche pflege. In bezug auf die Aktivitäten des täglichen Lebens kam Dr. … zu der Einschätzung, daß der Kläger bei der Aufrechterhaltung der vitalen Funktionen unselbständig und kontinuierlich abhängig sei von einer besonderen Kontrolle der Stoffwechsellage und einer ständigen Beobachtung zur Erfassung von Dysregulationen. Neben weiteren – altersentsprechenden – Abhängigkeiten sei der Kläger beim Essen und Trinken teilweise unselbständig infolge des erheblichen Mehraufwandes bei der Zubereitung und Koordinierung der Mahlzeiten. Die teilweise Unselbständigkeit beim Ruhen und Schlafen resultiere aus der häufigen nächtlichen Unruhe, die vermehrter Aufmerksamkeit bedürfe. Einen berücksichtigungsfähigen Hilfebedarf erkannte Dr. … nur für die Bereiche des Verlassens der Wohnung (wegen regelmäßiger Facharztbesuche), für das Einkaufen und Kochen, nicht aber für die mundgerechte Zubereitung der Nahrung und deren Aufnahme. Der wesentlich höhere Aufwand der Mutter für Einkauf, Zubereitung der Mahlzeiten, Insulinspritzen und für die intensive Beobachtung des Kindes zur Vermeidung von Stoffwechselentgleisungen diene der Behandlung und unterliege nicht dem Pflegegesetz.
Auf der Grundlage dieser Gutachten lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 09.05.1996 die Gewährung von Pflegegeld ab. In ihrem Widerspruch vom 04.06.1996 wies die Mutter für den Kläger auf ihrer Ansicht nach widersprüchliche Feststellungen in beiden Gutachten und darauf hin, daß eine Hilfe beim Kochen nicht nur fünf mal, sondern an jedem der sieben Wochentage erforderlich sei. Ihr sei bekannt, daß der MDK Plauen bei diabetischen Kleinkindern eine Pflegestufe zuerkenne. Zugleich legte sie ein ausführliches Pflegetagebuch für die Woche vom 07. bis 13.06.1996 vor. Die Beklagte wies den Rechtsbehelf ohne Einholung weiterer Gutachten im Widerspruchsbescheid vom 06.09.1996 zurück. Nach den Feststellungen des MDK sei der tägliche Pflegeaufwand im Berei...