Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. Blutzuckerteststreifen. Vertragsbeitritt gem (dem bis 10.5.2019 geltenden) § 127 Abs 2a SGB 5. eigenständiger Vertrag. Abhängigkeit vom Vertrag nach § 127 Abs 2 SGB 5. Teilbeitritt nur für abgrenzbare Versorgungsbereiche. keine Vertragsfiktion gem §§ 305 ff BGB. keine Abgabeberechtigung ohne Vertrag seit 1.4.2007. Blutteststreifen als leistungserbringungsrechtliche Applikationshilfe
Leitsatz (amtlich)
1. Durch den Vertragsbeitritt nach § 127 Abs 2a SGB V kommt zwischen Krankenkasse und beitretendem Hilfsmittelerbringer ein eigenständiger Vertrag zustande, der inhaltlich von dem Vertrag nach § 127 Abs 2 SGB V abhängig ist, zu dem der Beitritt erklärt worden ist.
2. Ein Teilbeitritt zu einem Vertrag nach § 127 Abs 2 SGB V ist nur für räumlich oder sächlich abtrennbare Versorgungsbereiche, insbesondere für einzelne Produktgruppen, zulässig. Unliebsame Vertragsklauseln können über einen Teilbeitritt nicht abbedungen werden.
3. Auch wenn die Anwendung der §§ 305ff BGB auf Verträge nach § 127 SGB V nicht schon grundsätzlich ausgeschlossen ist (anders noch LSG Chemnitz vom 29.10.2015 - L 1 KR 37/15 B ER = juris RdNr 79 ff), so lässt sich doch über die §§ 305ff BGB eine Vertragsfiktion nicht erreichen.
4. Hilfsmittelerbringer sind seit 1.4.2007 nicht berechtigt, Blutzuckerteststreifen ohne Vertrag nach § 127 SGB V abzugeben und zu marktüblichen Preisen abzurechnen.
5. Die leistungsrechtliche Gleichstellung von Blutteststreifen mit Arzneimitteln in § 31 Abs 1 S 1 SGB V ändert nichts daran, dass sie im Leistungserbringungsrecht zugleich als Applikationshilfen und damit wie Hilfsmittel behandelt werden.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 28. Juli 2017 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist der Beitritt zu Verträgen über die Versorgung mit Hilfsmitteln nach § 127 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der bis 10.05.2019 geltenden Fassung sowie die Berechtigung zur Abgabe von Blutzuckerteststreifen zu marktüblichen Preisen ohne Vertrag nach § 127 SGB V.
Die Klägerin ist eine Leistungserbringerin im Sinne des § 126 SGB V, die bundesweit in der Versorgung von an Diabetes erkrankten Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen tätig ist. Sie ist gemäß § 126 Abs. 1a SGB V präqualifiziert für die Versorgungsbereiche 03BR (Spritzen und Zubehör, Pens), 03ER (Pumpensysteme) und 21BR (Messgeräte zur Lungenfunktionsmessung, Blutdruckmessgeräte, Blutgerinnungsmessgeräte/ Blutzuckermessgeräte, Personenwaagen, Sprachausgaben zu Messgeräten) innerhalb der Produktgruppen 03 (Applikationshilfen) und 21 (Messgeräte für Körperzustände) im Sinne des Hilfsmittelverzeichnisses.
Die Beklagte, eine gesetzliche Krankenkasse mit bundesweit rund 500.000 Versicherten, machte im Februar 2014 ihre Absicht zum Abschluss von Verträgen nach § 127 Abs. 2 SGB V zur Versorgung
- mit Hilfsmitteln der Produktgruppen 03 und 21 sowie mit Produkten gemäß § 31 SGB V bei insulinpflichtigem Diabetes und
- mit Hilfsmitteln zur Insulinpumpentherapie
öffentlich bekannt. Auf Anforderung der Klägerin hin übersandte ihr die Beklagte am 04.02.2014 Angebotsunterlagen für beide Verträge. Die Klägerin machte mit Schreiben vom 19.02.2014 Anmerkungen zu den beiden Vertragsentwürfen und regte ein "offenes Gespräch" sowie einen "regen Gedankenaustausch" an. Im März und April 2014 fanden Vertragsverhandlungen mit verschiedenen Leistungserbringern, darunter auch der Klägerin (Gesprächstermine vom 10.03.2014, 21.03.2014 und 23.04.2014), statt. Zu einer Einigung zwischen der Klägerin und der Beklagten kam es nicht.
Mit Wirkung zum 01.05.2014 schloss die Beklagte
- mit der Firma Y.... sowie einem weiteren Leistungserbringer jeweils einen "Vertrag über die Versorgung mit Hilfsmitteln der PG 03 und PG 21 sowie mit Produkten gemäß § 31 SGB V bei insulinpflichtigem Diabetes" - AC/TK 19 00 041 und 19 00 040 - (im Folgenden: Vertrag Hilfsmittel zur Diabetestherapie) und
- mit der Firma X.... einen "Vertrag nach § 127 Abs. 2 SGB V über die Versorgung mit Hilfsmitteln zur Insulinpumpentherapie" - AC/TK 19 00 030 - (im Folgenden: Vertrag Hilfsmittel zur Insulinpumpentherapie).
Mit Schreiben vom 06.05.2014 informierte die Beklagte die Klägerin über den Abschluss dieser Verträge und bot ihr jeweils einen Vertragsbeitritt an.
Die Klägerin lehnte mit Schreiben vom 28.08.2014 einen Beitritt zu diesen Verträgen ab und forderte die Beklagte zu weiteren Verhandlungen über die Vertragsinhalte auf. Die Beklagte erklärte unter dem 04.09.2014, die Vertragsverhandlungen seien abgeschlossen. Gleichwohl fanden in der Folgezeit Gespräche statt, in denen aber keine Einigung erzielt werden konnte.
Mit Schreiben vom 19.11.2014 erklärte die Klägerin den Beitritt zu den "beiden" Verträgen, "jedoch unter Protest und Ausschluss" bestimmter Regelungen (wobei sie die Bezeichnung der Verträge vert...