Entscheidungsstichwort (Thema)

Minderung des Arbeitslosengeld II. Meldeversäumnis. Bestreiten des Zugangs der Meldeaufforderung. objektive Beweislast des Grundsicherungsträgers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es gibt keinen Erfahrungssatz, nach dem Schriftstücke, die den Adressaten nicht erreichen, notwendigerweise wieder an ihren Ausgangspunkt zurückkehren.

2. Der Nachweis des Zugangs eines behördlichen Schreibens kann nicht im Wege statistischer Überlegungen ersetzt werden. Vielmehr ist im Bestreitensfalle der Nachweis des Zuganges der Schriftstücke durch die Behörde zu führen. Bestreitet ein Hilfebedürftiger wiederholt den Erhalt von Schriftstücken, ist es an dem Leistungsträger, dem in geeigneter Weise, nämlich durch die Wahl einer Versendungsform mit Nachweis, entgegenzutreten.

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 3. August 2017 sowie der Bescheid des Beklagten vom 18. Juni 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2014 aufgehoben.

II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wehrt sich gegen eine von dem Beklagten verhängte Leistungsminderung.

Der Kläger stand bei dem Beklagten im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Mit Schreiben vom 7. April 2014 („Einladung“) bat der Beklagte den Kläger, am 15. April 2014 um 10.15 Uhr das Jobcenter zur Besprechung seiner aktuellen beruflichen Situation zu besuchen. Wenn der Einladung ohne wichtigen Grund nicht Folge geleistet werde, werde die Leistung um 10 % des nach § 20 SGB II maßgebenden Regelbedarfs für die Dauer von drei Monaten gemindert. Das Schreiben enthält den Hinweis: „Beachten Sie bitte unbedingt auch die nachfolgende Rechtsfolgenbelehrung und die weiteren Hinweise“. Der in der Verwaltungsakte befindliche Entwurf des Schreibens enthält keine Rechtsfolgenbelehrung. Seine Rückseite ist unbedruckt. Auch eine gesonderte Rechtsfolgenbelehrung zum Schreiben vom 7. April 2014 ist in der Verwaltungsakte nicht enthalten.

Der Kläger erschien zum festgelegten Zeitpunkt nicht beim Beklagten. Auf ein Anhörungsschreiben vom 14. Mai 2014 reagierte er nicht.

Mit Bescheid vom 18. Juni 2014 stellte der Beklagte eine Minderung des Anspruchs des Klägers auf Arbeitslosengeld II in Höhe von 35,14 EUR monatlich fest. Den Widerspruch vom 17. Juli 2014, mit dem der Kläger die Verfassungswidrigkeit der Minderungsentscheidung geltend machte, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2014 zurück.

Die Klage vom 14. November 2014 hat das Sozialgericht mit Urteil vom 3. August 2017 abgewiesen. Die Voraussetzungen für den Erlass einer Minderungsentscheidung hätten vorgelegen. Der Kläger sei in Kenntnis der Rechtsfolgen der Aufforderung des Beklagten vom 17. April 2014, sich am 28. April 2014 zu melden, nicht nachgekommen. Spätestens nach den Anhörungen vom 7. April 2014 und 17. April 2014 (betreffend vorausgegangene Meldeaufforderungen) habe der Kläger die Rechtsfolge eines Meldeversäumnisses gekannt. Die Einladung vom 17. April 2014 habe ihn auch erreicht. Zwar habe er geltend gemacht, sich an den Erhalt der Einladungen nicht mehr erinnern zu können. Im Rahmen des Freibeweises sei aber zu würdigen, dass weder das Einladungsschreiben an die Behörde zurückgelaufen sei noch der Kläger den Nichterhalt der Einladung im Widerspruchsverfahren vorgetragen habe. Vielmehr sei auf eine Rechtsfolgenbelehrung Bezug genommen worden. Einen wichtigen Grund zum Fernbleiben habe der Kläger nicht einmal behauptet, geschweige denn nachgewiesen. Das Sozialgericht hat die Berufung gegen sein Urteil zugelassen. Klärungsbedürftig sei, ob eine unverständliche, unrichtige oder unvollständige Rechtsfolgenbelehrung nur dann zur Rechtswidrigkeit mit einer Leistungsminderung führe, wenn die Möglichkeit bestehe, dass der Mangel der Belehrung für das minderungsbegründende Verhalten des Leistungsberechtigten kausal gewesen sein könnte.

Mit seiner gegen das ihm am 21. Dezember 2017 zugestellte Urteil gerichteten Berufung vom 19. Januar 2018 wendet sich der Kläger weiter gegen die verhängte Leistungsminderung. Er könne sich an einen Zugang der Einladung nicht erinnern. Den Nachweis des Zugangs des Schreibens habe der Beklagte nicht geführt. Der Entwurf dieses Schreibens in der Verwaltungsakte enthalte keine ausreichende Rechtsfolgenbelehrung. Auch sei der Minderungsbescheid verfassungswidrig.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichtes Leipzig vom 3. August 2017 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 18. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2014 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er bezieht sich auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid und hält die in erster Instanz ergangene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wir...

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