Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Krankenversicherung. Zuständigkeit des erstangegangenen Rehabilitationsträgers. Abgrenzung des Umfangs der Leistungspflicht bei Hilfsmittelversorgung (hier: Hörgerät). Wirtschaftlichkeitsgebot
Leitsatz (amtlich)
1. Prüft der erstangegangene Rehabilitationsträger den Antrag des Versicherten auf Teilhabeleistungen und leitet er ihn innerhalb von 14 Tagen an den seiner Ansicht nach zuständigen Versicherungsträger weiter, liegt darin eine fristgerechte Weiterleitung iS des § 14 Abs 1 S 2 SGB 9 auch denn, wenn er den Antrag des Versicherten nach den für ihn maßgeblichen Leistungsgesetzen (hier: SGB 6) mit Bescheid ablehnt, und zwar auch dann, wenn diese Ablehnung inhaltlich unzutreffend ist. Der Versicherungsträger, an den der Antrag weitergeleitet wird, wird in diesem Fall als sachlich an sich unzuständiger, aber "durch Aufdrängung zuständig gewordenen" Versicherungsträger zuständig und hat den geltend gemachten Anspruch - hier auf das Hilfsmittel Hörhilfe - anhand aller Rechtsgrundlagen, auch nach zuständigkeitsfremden Leistungsgesetzen, zu prüfen und zu erbringen, die in der konkreten Bedarfssituation in Betracht kommen und dem Grunde nach vorgesehen sind.
2. Der Hörgeräteakustiker ist zwar beauftragter Leistungserbringer der Krankenkasse, jedoch keine zur Entgegennahme von Sozialleistungsanträgen befugte Stelle (§ 16 Abs 1 S 2 SGB 1). Die Übergabe der ohrenärztlichen Verordnung durch den Versicherten an den Hörgeräteakustiker kann daher nicht bereits als Eingang des Antrages auf Hilfsmittelgewährung gegenüber der Krankenkasse gewertet werden. Erst die Weiterleitung des Hilfsmittelbegehrens durch den Hörgeräteakustiker namens und im Auftrag des Versicherten an die Krankenkasse stellt den Eingang des Leistungsantrages bei einem Sozialleistungsträger dar. Inwieweit sich möglicherweise künftig (nämlich nach Vorliegen der bislang nicht bekannten vollständigen Urteilsgründe), unter Berücksichtigung des vom BSG (Urteil vom 24.1.2013 - B 3 KR 5/12 R) angeführten Arguments, derjenige Leistungsträger, der sich der Antragsentgegennahme entzieht, kann sich nicht darauf berufen, es sei bei ihm kein Antrag gestellt worden, eine andere Bewertung ergeben könnte, bleibt ausdrücklich offen, weil die Beantwortung der Zuständigkeitsfrage im vorliegenden Fall davon nicht abhängt.
3. Die Abgrenzung des Umfangs der Leistungspflicht zwischen der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung im Bereich von geltend gemachten Teilhabeleistungen richtet sich danach, ob das begehrte Hilfsmittel - hier das Hilfsmittel Hörhilfe - dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dient (Leistungspflicht der Krankenversicherung) oder ausschließlich berufliche und arbeitsplatzspezifische Gebrauchsvorteile bietet (Leistungspflicht der Rentenversicherung). Diese Abgrenzung richtet sich nach den jeweils einzelfallspezifischen Besonderheiten (hier: berufsbedingter höherwertiger Hörgerätebedarf einer Lehrerin an einer Mittelschule für Englisch und Geschichte).
4. Die Kostenerstattung eines selbstbeschafften Hörgeräts ist zwar davon abhängig, ob der Versicherte das ihm Zumutbare getan hat, um die notwendige Leistung zur Vermeidung unnötiger Kosten zu ermitteln. Testet der Versicherte bei einem von der Krankenkasse zugelassenen Hörgeräteakustiker jedoch mehrere Hörgeräte, darunter auch solche zu Vertragsarztpreisen oder Festbeträgen, und liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Testung und Anpassung unsachgemäß erfolgte oder überteuerte bzw luxuriöse Geräte angepasst worden sind, dann erfüllt der Versicherte regelmäßig diese Obliegenheit, soweit die Leistungsträger nicht im Einzelfall Vorschläge unterbreiten, denen der Versicherte konkret nachgehen kann, um eine preiswertere Hörgeräteversorgung mit gleichadäquaten Ergebnissen zu erreichen.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 1. Juni 2012 aufgehoben.
II. Die Beigeladene zu 1. wird verurteilt, der Klägerin die Kosten für die zwei Hörgeräte der Marke “P… A… SMART III„ in Höhe von 2.710,00 Euro zu erstatten.
III. Die Beigeladene zu 1. hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten für das gesamte Verfahren zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte (oder die Beigeladene zu 1.) verpflichtet ist, der Klägerin als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben oder als Krankenbehandlung die Kosten für zwei volldigitale Mehrkanalhörgeräte mit Lärmmanagement, Rückkopplungsmanagement und Richtcharakteristik in Höhe von 2.710,00 Euro, abzüglich des von der Beigeladenen zu 1. bereits geleisteten Festbetrages zu Vertragsarztpreisen in Höhe von 808,88 Euro und abzüglich des gesetzlichen Zuzahlungsbetrages in Höhe von 20,- Euro, mithin einen Betrag in Höhe von 2.710,00 Euro zu erstatten.
Die 1955 geborene Klägerin ist Diplomlehrerin, arbeitet seit 1978 als Lehrerin an einer Mittelschule und gibt Unterricht in den Fächern Englisch und Geschicht...