Rz. 21
Die im Gesetz enthaltene Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung über die Bemessung des Einstiegsgelds ist der Kategorie "Selbstmisstrauen" zuzurechnen. In den Gesetzesmaterialien zum früheren § 29 wird ausführlich auf die Notwendigkeit individueller, auf den Einzelfall zugeschnittener Ermessensentscheidungen hingewiesen. Auch auf die Risiken von Mitnahmeeffekten, Dauersubventionen und sozialpolitisch unerwünschten Gesamteinkommen oberhalb anderer Haushaltseinkommen mit Erwerbstätigkeit durch das Einstiegsgeld wird hingewiesen. In der Gesetzesbegründung zu § 29 wurde all dies so dargestellt, als seien mit den Abs. 1 und 2 diese Risiken beseitigt. Deshalb muss die Ermächtigung des Abs. 3 Unverständnis hervorrufen. Sie ist Ausdruck von Misstrauen gegenüber den Anwendern der Vorschrift in den Jobcentern der gemeinsamen Einrichtungen und bei den Jobcentern der zugelassenen kommunalen Träger. Jede Regelung in der Rechtsverordnung ist geeignet, den Ermessensspielraum der Grundsicherungsstellen einzuschränken und individuelle Lösungen zu erschweren.
Rz. 22
Verordnungsgeber ist das fachlich zuständige BMAS. Die Notwendigkeit, Einvernehmen mit dem Bundesfinanzministerium herzustellen, ist tendenziell für restriktivere Bestimmungen geeignet, als sie aus allein sozial- und wirtschaftspolitischer Sicht zu erwarten wären. Einvernehmen ist eine besonders starke Beteiligungsform, die letztlich bedeutet, dass ohne das Einverständnis des Bundesfinanzministeriums keine Regelung in die Verordnung eingehen kann. Das hat in aller Regel stark disziplinierenden Einfluss auf die Höhe der Leistungen, die in einer Rechtsverordnung ermöglicht werden. Meist werden auch die Haushaltsgrundsätze stärker betont. Eine Beteiligung des Bundesrats ist nicht erforderlich, weil der Bund die Kosten für das Einstiegsgeld trägt. Tendenziell werden die Länder und Kommunen durch das Instrument Einstiegsgeld begünstigt, weil ihnen keine Ausgaben für Leistungsbezieher nach dem SGB II (mehr) erwachsen (insbesondere für Bedarfe zur Deckung der Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22), sie aber an den Steuereinnahmen der aus mit Einstiegsgeld geförderten Beschäftigungen teilhaben.
Rz. 23
Die Ermächtigung erstreckt sich auf die Bemessung des Einstiegsgelds. Das bedeutet, dass durch die Rechtsverordnung insbesondere nicht die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen verschärft oder abgemildert werden dürfen und auch die maximale Dauer der Gewährung des Einstiegsgeldes nicht verändert werden darf, ebenso nicht die Höhe des Einstiegsgelds selbst als absolute Summe festgelegt werden darf. Unter Bemessung ist die Aufstellung und Verknüpfung von Kriterien, z. B. zu einer Formel, zu verstehen, die ein quantitatives Ergebnis ergibt. Die Kriterien stellen die Bemessungsgrundlagen dar. Jedoch dürfte eine direkte Bezugnahme auf die Leistungen zur Deckung der Regelbedarfe oder Teile davon unschädlich sein, weil darin allein vernünftige Bemessungskriterien enthalten sind, die ohne weitere unbestimmte Rechtsbegriffe eine einheitliche Bemessung des Einstiegsgelds gewährleisten können. Eines Hinweises auf die Berücksichtigung der bereits in Abs. 2 Satz 2 genannten Kriterien bedurfte es nicht, weil die Rechtsverordnung nicht gegen die gesetzlichen Regelungen verstoßen darf. Mit Bezug zu der für den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten jeweils maßgebenden Leistung für den Regelbedarf ist eine Komponente gemeint, die verhindert, dass das Bemessungsgefüge für die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes im SGB II durch das Einstiegsgeld verletzt wird. Für die Gesamtbetrachtung der Bemessung ist damit auch eine grobe Größenordnung für das Einstiegsgeld vorgegeben worden. Dabei könnte es sich um einen prozentualen Abschlag oder Anteil der Leistung für den Regelbedarf handeln, der auch als Spanne oder in Stufen vorgegeben werden könnte.
Rz. 23a
Die vorherige Dauer der Arbeitslosigkeit ist besonders für Personenkreise von Bedeutung, die seit langer Zeit nicht mehr oder vielleicht noch nie eine Erwerbstätigkeit ausgeübt haben und für die es deshalb auch eine besondere Motivation darstellen könnte, durch das Einstiegsgeld auf ein höheres Einkommensniveau zu kommen als das, worauf sich der Leistungsberechtigte bislang eingestellt hatte. Ebenso ist die Dauer der Arbeitslosigkeit für den Personenkreis von Bedeutung, der nach dem Bezug der Versicherungsleistung Arbeitslosengeld noch arbeitslos ist und deshalb als Langzeitarbeitsloser geführt wird. Diese Leistungsberechtigten haben oft einen persönlichen finanziellen Absturz durch den Übergang in die Grundsicherung für Arbeitsuchende hinnehmen müssen, der nunmehr über das eigentliche Arbeitsentgelt hinaus auch durch das Einstiegsgeld (vorübergehend) wieder aufgefangen werden kann. Fehlende Arbeitslosigkeit begründet seit dem 1.8.2016 aber nicht mehr die Ablehnung eines Antrages auf Einstiegsgeld, weil Arbeitslosigkeit kein Tatbestandsmerkmal des zu fördernden Personenkreises ist. Die Betrachtung des Jobcenters muss auc...