2.2.1 Überblick
Rz. 8
§ 84 in der vom 1.7.2022 an geltenden Fassung bestimmt die Nichtanwendung des § 31a und nur eingeschränkte Anwendung des § 32.
Rz. 9
Die Vorschrift war rechtstechnisch nicht befristet, erst ab 1.1.2024 treten durch Neufassung andere Inhalte in Kraft. Inhaltlich wurde die Anwendung der Vorschrift jedoch im Wortlaut auf die Zeit bis zum 1.7.2023 begrenzt. Diese Begrenzung wurde durch die Aufhebung des § 84 mit dem Inhalt des Sanktionsmoratoriums durch das Bürgergeld-Gesetz geändert. Dem lag ein Vorschlag des Vermittlungsausschusses zugrunde, der von Bundestag und Bundesrat angenommen wurde (vgl. BT-Drs. 20/4600). Die Anwendung des § 84 endete damit mit Ablauf des 31.12.2022.
2.2.2 Sanktionsmoratorium für Pflichtverletzungen nach § 31, Abs. 1
Rz. 10
Für die Zeit des Sanktionsmoratoriums galt:
Das Sanktionsmoratorium bezieht sich auf die Anwendung des § 31a insgesamt. Das bedeutet, dass alle nach § 31a zu treffenden Entscheidungen nicht getroffen werden: Das sind alle Entscheidungen aufgrund von Pflichtverletzungen nach § 31 nach Maßgabe der Einzelregelungen in § 31a sowohl in Bezug auf erwerbsfähige Leistungsberechtigt unter und ab 25 Jahren (§ 31a Abs. 1 und 2). In Bezug auf nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte scheidet die Anwendung des § 31a Abs. 4 aus. Diese Regelung bezieht sich aber ohnehin nur auf Pflichtverletzungen nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 und 2.
Rz. 11
Nachdem Pflichtverletzungen nach § 31 überhaupt nicht weiter verfolgt werden, scheidet eine Anwendung des § 31a Abs. 3 Satz 1 und 2 darüber, ob und in welchem Umfang Sachleistungen zu erbringen sind oder erbracht werden können, aus.
Rz. 12
Auch § 31a Abs. 3 Satz 3 ist nicht anzuwenden. Das bedeutet, dass die Jobcenter nicht prüfen, ob ohne das Sanktionsmoratorium eine Leistungsminderung festzustellen wäre und aus diesem Grund das Arbeitslosengeld II, soweit es für den Bedarf für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 erbracht wird, an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden soll.
Rz. 13
Die Gesetzesmaterialien nehmen auf den Koalitionsvertrag für die 20. Legislaturperiode Bezug, der sieht die Einführung eines Bürgergeldes vor. In diesem Zusammenhang soll auch die vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 2019 geforderte gesetzliche Neuregelung der Sanktionen nach dem SGB II erfolgen. Als Zwischenschritt zu einer gesetzlichen Neuregelung werden die Rechtsfolgen bei Pflichtverletzungen befristet bis zum Ablauf des 1.7.2023ausgesetzt (Sanktionsmoratorium in der Grundsicherung für Arbeitsuchende). Danach soll das Bürgergeld die Mitwirkungspflichten und die Folgen der Verstöße neu regeln. Die vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse ergänzt um die praktischen Erfahrungen aus der Zeit der Pandemie können durch das Moratorium ausgewertet und in die Konzeption des Bürgergeldes einbezogen werden (vgl. BR-Drs. 126/22).
Rz. 14
Der Allgemeine Teil der Gesetzesbegründung fokussiert nochmals auf das Bundesverfassungsgericht, das am 5.11.2019 zu den Rechtsfolgen bei Pflichtverletzungen (sog. "Sanktionen") in der Grundsicherung für Arbeitsuchende geurteilt hat (1 BvL 7/16). Demnach darf der Gesetzgeber grundsätzlich Mitwirkungspflichten mithilfe von Leistungsminderungen durchsetzen. Allerdings sind bestimmte Sanktionsregelungen bei Pflichtverletzungen mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum unvereinbar. Bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung hat das Bundesverfassungsgericht Übergangsregelungen angeordnet, die bundesweit in den Jobcentern Anwendung finden. Der Koalitionsvertrag "Mehr Fortschritt wagen" für die 20. Legislaturperiode sieht die Einführung eines Bürgergeldes vor. Mit dem Sanktionsmoratorium soll die Neuregelung vorbereitet werden.
Rz. 15
Die Gesetzesbegründung weist aus, dass durch die Aussetzung der Sanktionsvorschrift nach § 31a im Zeitraum des Moratoriums keine Sanktionen bei Pflichtverletzungen nach § 31 festgestellt werden können. Minderungen, die bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens (1.7.2022) festgestellt werden, sind demnach ab dem Inkrafttreten aufzuheben. Zuweisungen in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, die über den Zeitraum des Moratoriums hinausgehen, erfolgen auch im Zeitraum des Sanktionsmoratoriums weiterhin mit Hinweis auf die Rechtsfolgen, die eintreten können, wenn die Mitwirkungspflichten nach Ablauf des Moratoriums verletzt werden.
Rz. 16
Daraus ergibt sich die Vorstellung des Gesetzgebers, dass im Zeitraum des Moratoriums keinerlei Sanktionen wirken sollen, es laufen also nicht diejenigen weiter, die zuvor festgestellt worden und begonnen haben. Ebenso werden keine neuen Sanktionen festgestellt. Rechtsfolgenbelehrungen für Zeiten der Zuweisung in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, die über das geplante Ende mit Ablauf des 1.7.2023 hinausgehen, können rechtswirksam nicht erteilt werden, denn es ist insoweit noch kein Regelungsinhalt für das Bürgergeld beschlossen. Ggf. wären arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, die von Leistungsberechtigten verweigert oder abgebrochen werden, ggf. nach Ablauf des Sanktionsmoratoriums neu vom Jobcenter anzubieten und mit der...