Rz. 9
Abs. 1 Satz 1 beschreibt die Unabhängigkeit der Bedarfsgemeinschaften von den Leistungen zur Grundsicherung als Hauptziel. Das schließt neben den erwerbsfähigen Personen in der Bedarfsgemeinschaft auch Kinder und ggf. nicht erwerbsfähige Personen ein. Die Vorschrift räumt ein, dass die Grundsicherung für Arbeitsuchende dazu nur einen Beitrag leisten kann. Dieser Beitrag besteht in der Stärkung der Eigenverantwortung des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten und der Menschen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Damit hat der Gesetzgeber vor dem Hintergrund des aktivierenden Sozialstaates die Hauptlast auf die Hilfebedürftigen als Leistungsberechtigte abgewälzt. Dabei hat er insbesondere diejenigen Erwerbsfähigen im Auge gehabt, denen Arbeitsunwilligkeit nachgesagt wird oder die aus eigenem Verschulden ungeachtet ihrer Erwerbsfähigkeit dem Grunde nach aktuell keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben (z. B. aufgrund von Sucht- oder Drogenproblemen). Dies wäre aber nicht das wirklichkeitsgetreue Leitbild der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. Aufgrund der Begrenzung der Anspruchsdauer auf Alg nach dem SGB III für Arbeitnehmer in einem Alter bis zu 54 Jahren auf maximal ein Jahr und für Menschen ab 55 Jahren auf maximal 2 Jahre bedarf es nicht einmal einer besonderen konjunkturellen oder strukturell bedingten Krise auf dem Arbeitsmarkt, um nach eingetretener Langzeitarbeitslosigkeit dem Berechtigtenkreis nach dem SGB II anzugehören. Selbst die Familien, die allein dadurch noch nicht hilfebedürftig i. S. d. SGB II werden, weil sie über Ersparnisse verfügen, werden mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit zu Hilfebedürftigen werden, weil die Ersparnisse verbraucht werden (und dann ggf. das noch übrige Vermögen verwertet werden muss, das der Gesetzgeber nicht gesondert, aber nach dem Bürgergeld-Gesetz seit 2023 jedoch deutlich weitergehender geschützt hat). Diesen Menschen kann aber andererseits vergleichsweise selten ein passender Arbeitsplatz geboten werden. Denn einerseits ist dies schon nicht während der Zeit gelungen, während der sie noch Leistungen der Arbeitslosenversicherung bezogen haben. Andererseits haben sich durch die verstrichene Dauer der Arbeitslosigkeit Defizite im erlernten Beruf vergrößert oder es sind andere vermittlungshemmende Ereignisse eingetreten, z. B. eine Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes. Häufig geht die Beschäftigungsfähigkeit schlechthin verloren oder sie wird zu großen Teilen eingebüßt. Da liegt es nahe, dass in solchen Fällen Armut eintritt, wenn nicht durch die Grundsicherung für Arbeitsuchende, so dann doch im Alter. Die Bemühungen um eine gesetzliche Regelung, die es erleichtern soll, die Anwartschaftszeit für den Bezug der Versicherungsleistung Alg zu erfüllen, sind in der 18. Legislaturperiode gescheitert. Dies bleibt aber zum einen zwingend erforderlich, um den Versicherungsschutz wieder auf eine angemessene Quote von arbeitslos gewordenen Arbeitnehmern anzuheben. Andererseits kann durch weniger Versicherungszeit und/oder eine längere Rahmenfrist auch erreicht werden, dass Personen jedenfalls vorübergehend (noch) nicht auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende angewiesen sind. Tendenziell würde dadurch die Anzahl der Leistungsberechtigten sinken. Immerhin hat sich der Gesetzgeber dazu durchringen können, zum 1.1.2020 die Rahmenfrist für die Erfüllung der Anwartschaftzeit zum Alg um 6 Monate auf 30 Monate zu erhöhen.
Eine andere Frage ist, welche Möglichkeiten der Gesetzgeber den Jobcentern lässt, auch mit den Leistungsberechtigten weiterhin eine Eingliederungsstrategie zu verfolgen, die zur Mitwirkung daran nicht oder nur eingeschränkt bereit sind. Die Praxis beklagt immer wieder, dass es große Schwierigkeiten bereitet, diesen Personenkreis überhaupt zur Beratung in das Jobcenter zu bekommen. Diese Problematik hat sich nach der Rechtsprechung des BVerfG zu den Regelungen über Leistungsminderungen in den §§ 31 ff. verschärft. Das Bürgergeld-Gesetz hat hier mit dem Ziel einer vertrauensvollen Zusammenarbeit auf Augenhöhe auch einen umgekehrten Weg eingeschlagen. Zusammen mit dem Element der Vertrauenszeit und deutlich abgeschwächten Sanktionsregelungen ist das letztlich politisch nicht durchsetzbar gewesen und wurde auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses korrigiert. Seither ist das Leistungsminderungsrecht wieder verschärft worden, weitere gesetzliche Schritte werden diskutiert.
Rz. 10
Seit Jahren ist der Arbeitsmarkt in Deutschland von einem Arbeitsplatzdefizit geprägt. Daran ändert auch aufgetretener spezifischer Fachkräftemangel im Ergebnis nichts. Abbau und Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland haben vielfältige Gründe. Entscheidend ist jedoch, dass verloren gegangene Arbeitsplätze den Arbeitsuchenden nicht mehr zur Besetzung zur Verfügung stehen. Der Zuwachs neuer Arbeitsplätze unterschreitet zahlenmäßig die vernichteten Beschäftigungsmöglichkeiten deutlich, außerdem fordern sie in nicht geringem Umfang spezielle Qualifikat...