2.1 Zumutbarkeit
Rz. 3
Das Merkmal der Zumutbarkeit enthält eine Obliegenheit. Dieser muss der erwerbsfähige Leistungsberechtigte genügen, um Leistungsminderungen aufgrund von Pflichtverletzungen nach § 31 Abs. 1 Satz 1 zu entgehen. Zumutbarkeit einer Arbeit grenzt die Möglichkeiten ab, Hilfebedürftigkeit durch Erwerbstätigkeit zu beseitigen, zu verkürzen oder zu verringern. Es beschreibt Beschäftigungen, zu denen der Leistungsberechtigte nach Art und Umfang bereit und fähig sein muss. Zumutbarkeit begrenzt hingegen nicht die Bereitschaft, auf einen größeren Kreis von potenziellen Erwerbstätigkeiten zurückzugreifen, zu deren Ausübung der erwerbsfähige Leistungsberechtigte "übergesetzlich" bereit ist. Nach den für die Jobcenter geltenden fachlichen Weisungen bedeutet die Unzumutbarkeit eines Angebots nicht, dass ein solches Angebot nicht unterbreitet werden soll, solange über die Freiwilligkeit der Inanspruchnahme des Angebots in einer für erwerbsfähige Leistungsberechtigte individuell verständlichen Weise aufgeklärt wird. In der Praxis der Grundsicherung ist angesichts des sich verschärfenden Fachkräftemangels insbesondere der Personenkreis angesprochen worden, der wegen der Betreuung kleiner Kinder noch nicht (wieder) generell zur Erwerbstätigkeit verpflichtet ist.
Rz. 4
Abs. 1 Satz 1 HS 1 stellt den Grundsatz auf, dass dem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten jede Arbeit zumutbar ist. Dieser Grundsatz bezieht sich nicht auf das theoretische Feld der offenen Stellen und Möglichkeiten einer selbstständigen Tätigkeit, sondern auf den konkret erreichbaren Arbeitsmarkt mit den tatsächlich vorhandenen Arbeitsmöglichkeiten. Das bedeutet zunächst, dass sich der Leistungsberechtigte auf keinen Berufs-, Entgelt- oder sonstigen Bestandsschutz berufen kann. § 10 stellt auch nicht auf Zeit-, Geschlechts- oder Alterskomponenten ab. Im Vordergrund steht die Obliegenheit, aus eigener Kraft Hilfebedürftigkeit zu beseitigen oder zu verringern. In 4 speziellen Fällen nimmt der Gesetzgeber Unzumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit an. Unzumutbarkeit resultiert nach der Systematik der Vorschrift aus einem Umstand, der als wichtiger Grund der Zumutbarkeit entgegensteht. Die Zumutbarkeit von Arbeit beschränkt sich auf den Personenkreis der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, nicht erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist von vornherein keinerlei Erwerbstätigkeit zumutbar. Dieser Personenkreis erhält nur Leistungen nach dem SGB II, soweit eine Bedarfsgemeinschaft mit einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten vorhanden ist, ansonsten wäre die nicht erwerbsfähige Person an den Rechtskreis der Sozialhilfe zu übergeben.
Rz. 4a
Abs. 1 Satz 1 HS 1 bringt zum Ausdruck, dass dem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten grundsätzlich jede Arbeit zumutbar ist, ohne dass im Gesetz näher ausgeführt wäre, was alles unter den Begriff der Arbeit fällt. Der Begriff der Arbeit spielt in vielen Wissenschaften eine Rolle und wird jeweils unterschiedlich definiert. Für die Grundsicherung für Arbeitsuchende ist fraglich, ob der Begriff allein abhängige Arbeit erfasst oder auch selbständige Tätigkeiten einschließt. Schon die Erwerbszentriertheit des SGB II insgesamt deutet darauf hin, dass Arbeit alle Erwerbstätigkeiten umfasst. Selbständige Tätigkeiten sind schon nicht Gegenstand der Vermittlung im Rechtskreis der Arbeitsförderung (vgl. aber § 36 Abs. 4 SGB III bei den Grundsätzen der Arbeitsvermittlung). Selbständige Tätigkeiten sind nicht stets, aber oft auch mit finanziellen und anderen Risiken verbunden. Hilfebedürftige erwerbsfähige Leistungsberechtigte sollen nicht grundsätzlich diesem Risiko ausgesetzt werden können. Andererseits ist erwerbsfähigen Leistungsberechtigten grundsätzlich jede selbständige Tätigkeit zumutbar, die nicht derartigen Risiken begegnet. Die Risiken lassen sich nur schwerlich in einer gesetzlichen Vorschrift abgrenzen, von daher ist der Gesetzgeber darauf ausgewichen, den Begriff der Arbeit zu benutzen. Unter Arbeit fällt jedenfalls die Aufwendung von Arbeitskraft. Unstreitig unterfallen aber alle abhängigen Beschäftigungen im Grundsatz der Arbeit, gleich, ob es sich um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen handelt oder nicht, insbesondere auch Minijobs mit einem monatlichen Entgelt von bis zu 520,00 EUR, Aushilfstätigkeiten, Ausbildungen, Arbeiten auf Abruf und bei sog. Personal-Service-Agenturen oder Call-Centern, Gelegenheitsarbeiten, Leiharbeit. Auch Arbeit auf Probe, Saisonarbeit und geförderte Arbeit (sozialer Arbeitsmarkt) fallen z. B. darunter.
Rz. 4b
Eine Arbeit ist nach Abs. 1 Nr. 5 aus sonstigen wichtigen Gründen unzumutbar. § 10 definiert Zumutbarkeit auf der Tatbestandsseite. § 31 enthält wie § 10 den unbestimmten Rechtsbegriff des wichtigen Grundes auf der Rechtsfolgenseite. Bezogen auf zumutbare oder unzumutbare Arbeit sind die Begriffe identisch. Wichtige Gründe i. S. d. § 31 Abs. 1 Satz 2 erfüllen auch die Voraussetzungen für die Unzumutbarkeit nach § 10 Abs. 1. Der wichtige Grund in § 10 ist von Amts wegen zu ermitteln, ...