Rz. 49
Die Grundsicherung für Arbeitsuchende muss nach der Rechtsprechung des BVerfG auch einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums decken. Eine entsprechende Anspruchsgrundlage (§ 21 Abs. 6) ist für den Bedarf erforderlich, der nicht schon vom bestehenden Leistungsspektrum abgedeckt wird, weil die Einkommens- und Verbrauchsstatistik, auf der die Leistung für den Regelbedarf beruht, allein den Durchschnittsbedarf in üblichen Bedarfssituationen widerspiegelt, nicht aber einen darüber hinausgehenden, besonderen Bedarf aufgrund atypischer Bedarfslagen. Zu berücksichtigen sind stets vorrangige Ansprüche, etwa nach dem SGB V oder dem SGB XI, auch nach dem SGB VIII (bei Mehrbedarf wegen Kinderbetreuung, vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 10.12.2020, L 7 AS 1634/18). Deren Leistungskatalog richtet sich nicht nach der Bedürftigkeit des Leistungsberechtigten, sondern nach der Schwere etwa einer Krankheit oder eines Pflegebedarfes und der Qualität als Mittel gezielter Krankheitsbekämpfung. Versicherte Leistungsberechtigte nach dem SGB II dürfen gegenüber anderen Versicherten nicht besser gestellt werden. Wird ein abweichender Bedarf nur vermutet, muss dem nicht von Amts wegen nachgegangen werden (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 19.3.2014, L 31 AS 3018/13 B). Jedenfalls kommt ein Mehrbedarf nach Abs. 6 von vornherein nicht in Betracht, wenn er von der Leistung für den Regelbedarf (vollständig) umfasst wird. Das gilt auch für möglicherweise zusätzliche Bedarfe, wenn auch deren Ersatzbeschaffung aus der Leistung für den Regelbedarf zu bestreiten ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 30.4.2015, L 32 AS 1916/13).
Rz. 50
Das BVerfG hat entschieden, dass die Gewährung einer Leistung für den Regelbedarf als Festbetrag grundsätzlich zulässig ist. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen darf der Gesetzgeber typisierende und pauschalierende Regelungen treffen. Der Gesetzgeber muss jedoch dafür Sorge tragen, dass bei existenzsichernden Leistungen das Existenzminimum bei jedem Einzelnen und in jedem Einzelfall geschützt ist. Dabei gilt, dass bei statistisch ermittelten Durchschnittsbeträgen ein höherer Bedarf in einem Lebensbereich nicht zu einer erhöhten Leistung führt, sondern durch geringere Ausgaben in einem anderen Lebensbereich auszugleichen ist. Die regelbedarfsrelevanten Positionen treffen als abstrakte Rechengrößen nicht bei jedem Leistungsberechtigten zu, sie sollen erst in ihrer Summe ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleisten. Ist der Pauschalbetrag so bestimmt worden, dass ein Ausgleich zwischen verschiedenen Bedarfspositionen möglich ist, kann der Leistungsberechtigte sein individuelles Verbrauchsverhalten so gestalten, dass er mit dem Pauschalbetrag auskommt, bei besonderem Bedarf hat er zunächst auf das in der Leistung enthaltene Ansparpotenzial zurückzugreifen. Das trifft auch auf einmalige Bedarfe zu, über die das BVerfG nicht konkret entschieden hat.
Rz. 51
Ein Pauschalbetrag deckt allerdings nur den durchschnittlichen Bedarf. Ein in Sonderfällen auftretender Bedarf nicht in der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe erfassten Art oder atypischen Umfangs wird nicht aussagekräftig ausgewiesen. Er wird von der Leistung für den Regelbedarf nicht erfasst und muss deshalb gedeckt werden, wenn dies im Einzelfall für ein menschenwürdiges Existenzminimum erforderlich ist. Ein besonderer Bedarf liegt schon nicht vor, wenn er bei Leistungsbeziehern nach dem SGB II regelmäßig oder sogar typischerweise auftritt. Dazu sieht das SGB II eine Reihe weiterer Leistungen vor, die i. d. R. auch einen individuellen, besonderen Bedarf decken. Die Leistung für den Regelbedarf, die nur begrenzte und nicht alle vorkommenden Bedarfslagen deckt, wird durch die Bedarfslagen nach § 21 Abs. 2 bis 5 (zwischenzeitlich auch Abs. 6a und 7) und die Möglichkeit des Darlehens nach § 24 Abs. 1 ergänzt. Nach Auffassung des BVerfG gewährleiste auch § 73 SGB XII in der Auslegung des BSG nicht, dass alle atypischen Bedarfslagen berücksichtigt werden. Für einen atypischen Bedarf außerhalb der Leistung zur Deckung des Regelbedarfs und der zusätzlichen Hilfen enthielt das SGB II bis zur Einfügung des Abs. 6 neu keine Anspruchsgrundlage für Leistungsberechtigte. Die Härtefallregelung fordert grundsätzlich einen besonderen Bedarf, der sich zum einen dadurch auszeichnet, dass er nicht durch den Regelbedarf gedeckt wird, weil der Bedarf für die speziell eingetretene Lebenssituation dort nicht enthalten ist und insoweit strukturelle Schwierigkeiten der EVS einen Härtefall ermöglichen. Das ist insbesondere auch durch ein verändertes Verbrauchsverhalten impliziert, das in der jeweils aktuellen EVS noch nicht abgebildet ist.
Rz. 52
Daneben deckt die Leistung für den Regelbedarf keinen überdurchschnittlich hohen Bedarf, der zwar seiner Art nach berücksichtigt wird, jedoch bei quantitativer Betrachtung nur in durchschnittlichem Umfang. Ein Anspruch auf Leistun...