2.6.3.1 Lebens- und Bedarfslagen – Tendenziell positive Fallgestaltungen
Rz. 65
Wahrnehmung des Umgangsrechts
Die Wahrnehmung des Umgangsrechts eines geschiedenen oder (dauernd) getrennt lebenden Elternteils kann regelmäßige Fahrt-, Verpflegungs- und/oder Übernachtungskosten zur Folge haben, die nicht i. S. v. Abs. 6 zu vermeiden oder aus anderen Mitteln zu bestreiten sind. Können diese nicht aus der Leistung für den Regelbedarf, etwa vorhandenem Einkommen, oder Leistungen Dritter bestritten werden, kommt eine Anerkennung als Bedarf in angemessenem Umfang in Betracht. Hierfür bedarf es keines gesonderten Antrages (vgl. BSG, Urteil v. 6.5.2010, B 14 AS 3/09 R). Dies gilt für Bedarfe der Kinder in gleicher Weise, soweit diesen anstelle ihrer Eltern Kosten entstehen. Ein Anspruch auf Übernahme der Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts mit einem getrennt lebenden Kind besteht nicht bereits im Falle der räumlichen Trennung des Elternteils vom Kind, sondern nur dann, wenn die Eltern i. S. des Familienrechts getrennt leben. Das setzt neben der räumlichen Trennung auch einen Trennungswillen voraus (LSG Thüringen, Urteil v. 19.3.2014, L 4 AS 1560/12). Entstehen Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts deshalb, weil der Umgangsberechtigte ohne Zusicherung und auch sonst aus nicht nachvollziehbaren Gründen umgezogen ist, liegt insoweit kein unabweisbarer Bedarf vor (LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 3.8.2010, L 13 AS 3318/10 ER-B). Fahrtkosten richten sich nach den Bestimmungen der Bürgergeld-V (SG Augsburg, Schlussurteil v. 17.1.2012, S 17 AS1080/11). Das SG Berlin hält 20 Cent je gefahrene Kilometer entsprechend § 5 Abs. 1 BRKG für angemessen (Urteil v. 18.1.2018, S 179 AS 3988/16, unter Hinweis auf BSG, Urteil v. 4.6.2014, B 14 AS 30/13 R, vgl. Rz. 70a). Das LSG Niedersachsen-Bremen hält die Kilometerpauschale nach § 3 Abs. 7 Bürgergeld-V in Höhe von 0,10 EUR je Kilometer für eine maßgebende Rechtsgrundlage. Diese Regelung betrifft an sich überwiegend betrieblich genutzte Kraftfahrzeuge und die Absetzung der Kosten für die tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben. Von diesen sind für private Fahrten 0,10 EUR für jeden gefahrenen Kilometer abzusetzen. Dasselbe gilt spiegelbildlich bei überwiegend privat genutztem Kraftfahrzeug für betrieblich veranlasste Fahrten mit der Maßgabe, dass der erwerbsfähige Leistungsberechtigte höhere notwendige Ausgaben für Kraftstoff nachweisen kann. Nach der Rechtsprechung des LSG bestimmt sich der Umfang der übernahmefähigen Fahrkosten i.d. Regel nach der familienrechtlichen Regelung des Umgangsrechts, wobei das Gericht das Kindeswohl für ausschlaggebend hält. Eine Regelung, die statt eines Umgangs in der Wohnung der Kindesmutter oder im öffentlichen Raum bei durchschnittlich 7 Besuchstagen im Monat einer 1,5-jährigen Tochter die Wahrnehmung des Umgangsrechts in der Wohnung des Vaters vorsieht (und damit Fahrkosten auslöst), hält das Gericht für dem Kindeswohl entsprechend (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 6.9.2012, L 11 AS 242/12 B ER). In Bezug auf die Aufwendungen für zurückzulegende Strecken kommt es darauf an, inwieweit dem Leistungsberechtigten im Einzelfall zur Verfügung stehende kostenfreie Möglichkeiten zur Bewältigung der Strecke zumutbar sind. Die Zusammenführung von getrennt lebenden Ehepaaren, auch als Besuch des im Ausland lebenden Ehegatten, löst nicht die Anwendung des § 21 Abs. 6 aus (LSG Hessen, Beschluss v. 6.7.2012, L 7 AS 275/12 B ER). Abs. 6 stelle keine Grundlage für die laufende Finanzierung von Besuchsreisen eines im Ausland lebenden Ehegatten dar. Ehegatten müssten sich auf die ausländerrechtlich und verfassungsrechtlich zulässigen Möglichkeiten zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft durch Zuzug des im Ausland lebenden Ehegatten verweisen lassen.
Rz. 66
Für Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts sieht das BSG einen besonderen Bedarf (vgl. auch BT-Drs. 17/1465). Ein solcher ist im Einzelfall dann gegeben, wenn die Bedarfslage eine andere ist als die, die bei typischen Empfängern von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende vorliegt. Es muss daher ein Mehrbedarf zum normalen Regelbedarf vorgegeben sein (BSG, Urteil v. 18.11.2014, B 4 AS 4/14 R). Das sei bei den Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts ungeachtet der Tatsache der Fall, dass in der Leistung für den Regelbedarf ein Anteil für Fahrtkosten enthalten sei. Die im Grundsatz gegebene Einsparmöglichkeit durch Umschichtung scheidet aus. Der höhere Bedarf muss nicht durch geringere Ausgaben in einem anderen Lebensbereich ausgeglichen werden. Der Bedarf betreffe eine spezielle Situation bei der Aufrechterhaltung des Umgangs mit einem Kind. Diese Situation sei mit überdurchschnittlichen Schwierigkeiten verbunden, wenn die Wohnorte aufgrund der Trennung der Eltern weiter entfernt voneinander liegen (im entschiedenen Fall 140 km). Das LSG Berlin-Brandenburg hält es für ohne Weiteres körperlich zumutbar, dass ein vollschichtig leistungsfähiger, nicht schwerbehinderter Leistungsberechtigter Strecken von 3 bis 4 km mit dem Fahrrad oder zu Fuß ...