Rz. 77
Die Berücksichtigung eines Bedarfs für Lernförderung ist nach dem Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht neu. Die Möglichkeit der Lernförderung ist bis zum 31.12.2010 im Grundsatz in der Härtefallregelung des § 21 Abs. 6 enthalten gewesen. Ab dem 1.1.2011 kommt dies nicht mehr in Betracht, weil in § 28 Abs. 5 eine eigenständige Anspruchsgrundlage für die Lernförderung geschaffen worden ist. Auch hier kommt eine Berücksichtigung als Bedarf nur in begrenztem Umfang in Betracht, wenn auch die Voraussetzungen nicht mehr so eng gefasst sind wie in § 21 Abs. 6, das ergibt sich aber aus den zusätzlichen Voraussetzungen der Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit. Es wäre allerdings auch nicht gerechtfertigt, die Lernförderung nur auf Ausnahmefälle beschränkt zu sehen. Ggf. sind Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe vorrangig (vgl. § 35a SGB VIII). Das Erfordernis der Angemessenheit schließt eine Einzelförderung nicht aus, wenn diese aufgrund von Besonderheiten gegenüber einer Gruppenförderung angezeigt ist, oft werden hierfür Konzentrationsschwierigkeiten angeführt.
Rz. 77a
Der Begriff der Lernförderung ist weit auszulegen. Er umfasst mehr als nur Nachhilfe. Aus dem Wortlaut heraus ist unter jeder Förderung für eine Person, die diese in Bezug auf das Lernen erhält, eine Lernförderung zu verstehen (vgl. BSG, Urteil v. 18.4.2018, B 4 AS 19/17 R). Das ergibt sich aus der Anforderung des BVerfG, über die Vermittlung von Bildung die materielle Basis für Chancengerechtigkeit herzustellen und zu vermeiden, dass schulpflichtige Kinder von Leistungsbeziehern nach dem SGB II ohne hinreichende staatliche Leistungen in ihren Möglichkeiten eingeschränkt werden, später ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften bestreiten zu können, was zugleich einen Verstoß gegen das Sozialstaatsgebot bedeuten würde. Die Ermöglichung von Chancengerechtigkeit kann dem BSG zufolge aber effektiv nur über ein weites Verständnis des Begriffs der Lernförderung im Sinne einer Förderung Lernender erreicht werden.
Rz. 78
Abs. 5 ist gespickt mit unbestimmten Rechtsbegriffen, die allerdings gerichtlich vollständig nachprüfbar sind. Damit will der Gesetzgeber aber auch den Ausnahmecharakter der Leistung unterstreichen. Ausgangspunkt ist ein Lerndefizit, das im Grundsatz nur vorübergehender Natur ist, aber zur Folge hat, dass ein Erreichen der wesentlichen Lernziele der von dem Schüler besuchten Klassenstufe gefährdet ist. Wesentliches Lernziel kann die Versetzung in die nächste Klassenstufe bzw. ein ausreichendes Leistungsniveau sein, wenn das für die Versetzung i. d. R. erforderlich ist. Ein dauerhaftes Lerndefizit, z. B. Legasthenie, kann eine Berücksichtigung von Bedarf für Lernförderung grundsätzlich ebenso begründen, insbesondere wenn Einschränkungen dieser Fähigkeiten aufgrund eines Notenschutzes nicht versetzungsrelevant sind (BSG, Urteil v. 18.4.2018, B 4 AS 19/17 R; anders für den Fall einer nicht gefährdeten Versetzung: LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 17.5.2018, L 7 AS 2087/17, wobei das LSG einen Widerspruch zum BSG vermeidet). Leistungen der Jugendhilfe nach dem SGB VIII sind ohnehin ggf. vorrangig. Das ist deshalb im Übrigen stets zu prüfen, z. B. die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche nach § 35a SGB VIII. Der Besuch einer Sonderschule schließt eine Förderung nach Abs. 5 jedoch nicht aus (SG Itzehoe, Beschluss v. 5.4.2012, S 11 AS 50/12 ER). Noch nicht geklärt ist die Frage, ob die Möglichkeit eines Notenausgleichs der Leistungsgewährung nach Abs. 5 entgegenstehen kann (vgl. hierzu LSG Sachsen, Beschluss v. 7.9.2015, L 7 AS 1793/13 NZB). Das Erreichen eines mittleren Schulabschlusses kann an die Stelle der Versetzung in die nächsthöhere Klasse treten, soweit es sich in Übereinstimmung mit dem Schulrecht des Landes um die 10. Klasse in einem Gymnasium handelt (für Sachsen vgl. LSG Sachsen, Beschluss v. 11.7.2016, L 3 AS 1810/13 B). Eine schulische Nachmittagsbetreuung ist keine ergänzende Lernförderung i. S. v. Abs. 5 (LSG Nordrhein-Westfalen, L 12 AS 134/15). Sie könnte im entschiedenen Einzelfall auch keinen Mehrbedarf i. S. v. § 21 Abs. 6 darstellen. Es fehlt demnach an der Unabweisbarkeit, weil die Kosten bereits anderweitig von einem Elternteil getragen worden waren. Lerndefizite als Folge der Unterrichtsgestaltung aufgrund der Corona-Pandemie sind besonders zu berücksichtigen und einzubeziehen.
Rz. 78a
Eine Therapie zur Behandlung einer Legasthenie bzw. Dyskalkulie kann eine Maßnahme der außerschulischen Lernförderung i. S. d. Abs. 5 darstellen. Die Auffassung, dass von Abs. 5 nur eine zeitlich begrenzte Nachhilfe umfasst ist, findet im Gesetz keine Stütze. Es handelt sich dabei nicht nur um eine zeitlich begrenzte Nachhilfe, durch welche unverschuldete Wissenslücken (z. B. aufgrund Unterrichtsausfalls wegen Krankheit) beseitigt werden sollen, wobei eine spezielle Förderung einer grundsätzlich behandelbaren Legasthenie bzw. Dyskalkulie ebenfalls erfasst ist.
Die Voraussetzungen der Eig...