Rz. 37
Abs. 5 enthält zwei eigenständige Grundsätze: den Nachranggrundsatz und den Bedarfsdeckungsgrundsatz. Abs. 5 Satz 1 verpflichtet die gesamte Bedarfsgemeinschaft zur vorrangigen Selbsthilfe. Diese gehört zum Grundsatz des Forderns auch ausdrücklich im Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 1. Die Regelung ist unverändert aus dem früheren Abs. 3 verschoben worden. Dabei handelt es sich um eine generalklauselartige Verpflichtung ohne weitere Rechtswirkung. Das hier verankerte Subsidiaritätsprinzip hat seinen Ursprung in der katholischen Soziallehre, nach der der Staat auf der obersten Ebene nur das regeln soll, was von der unteren Ebene nicht gewährleistet werden kann. Der Staat soll sich nicht um Probleme kümmern, die Bürger in Eigenverantwortung lösen können. Zur Absicherung individueller Risiken muss jeder Bürger selbst Vorsorgemaßnahmen treffen. Staatliche Hilfe aus Steuermitteln kommt hilfsweise nur da in Betracht, wo der Einzelne in seiner individuellen Lebenssituation überfordert ist. Das Subsidiaritätsprinzip bestimmt die Sozialgesetzgebung in Deutschland seit der Weimarer Republik. Staatlicher Beistand soll hilfreich sein und den Bürger als kleinere Einheit unterstützen und fördern, ohne ihn zu entmündigen oder eine Rückführung eigener Anstrengungen zur Beseitigung seiner Hilfebedürftigkeit zuzulassen. Im Sinne des Abs. 3 gehört zur Selbsthilfe vorrangig die Verwertung der eigenen Arbeitskraft, soweit die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft erwerbsfähig sind. Ebenso müssen vorhandenes Einkommen und Vermögen eingesetzt werden, um den Bezug von Leistungen zum Lebensunterhalt abzuwenden. Daraus resultiert allerdings nicht die Möglichkeit, fiktives Einkommen zu berücksichtigen. Ferner müssen Ansprüche gegen Dritte vorrangig realisiert werden. In dieses System fügt sich auch die Härtefallregelung des § 21 Abs. 6 ein. Soweit dem Leistungsberechtigten bei atypischer Bedarfslage kein Einkommen oder Vermögen zur Deckung dieses Bedarfs zur Verfügung steht, hat er nach der Rechtsprechung des BVerfG, die bei der Umsetzung des § 21 Abs. 6 zu beachten ist, zunächst das in dem Regelbedarf enthaltene Einsparpotenzial zu nutzen, bevor er den Staat weitergehend in Anspruch nehmen kann. Vorrangige Selbsthilfe stellt auch die eigene Suche nach einer Erwerbstätigkeit dar. Die Zahlung sog. Selbstvermittlungsprämien verstößt jedoch gegen die Leistungsgrundsätze des § 3 (vgl. auch BSG, Urteil v. 2.7.2013, B 4 AS 71/12 R).
Rz. 38
Der in Abs. 5 abgesteckte Rahmen wird im Gesetz noch näher konkretisiert. Zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft finden sich Regelungen insbesondere bei der Definition von Hilfebedürftigkeit in § 9 Abs. 1, zur Zumutbarkeit von Arbeit in § 10 und zu Eigenbemühungen in § 15, letztlich aber auch im Katalog der Eingliederungsleistungen, die einen Beitrag zur Deckung des Lebensunterhaltes beinhalten (vgl. z. B. §§ 16e, 16i). Den Einsatz von Einkommen und Vermögen regeln §§ 11 ff., 12 und die aufgrund von § 13 erlassene Bürgergeld-V. § 12a bestimmt die Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen.
Rz. 39
Soweit sich die Bedarfsgemeinschaft sozialwidrig verhält, kann dies nach Ablauf des Sanktionsmoratoriums seit Inkrafttreten der Neufassung der Leistungsgrundsätze Leistungsminderungen oder Ersatzansprüche zur Folge haben (vgl. §§ 31 bis 32, 34). Die Grundsicherungsstellen haben aber auch die Pflicht, übergegangene Ansprüche zu verfolgen (§ 33). Abs. 5 stellt keine Rechtsgrundlage dafür dar, dem Leistungsberechtigten die Leistungen zum Lebensunterhalt zu versagen oder zu entziehen (vgl. § 66 SGB I), auch wenn das Jobcenter dem Leistungsberechtigten eine entsprechende Rechtsfolgenbelehrung erteilt hat. Mögliche Rechtsfolgen bei Verweigerung von Erwerbstätigkeit regeln für die Zeit nach dem Sanktionsmoratorium (§ 84) die §§ 31 bis 31b. Auch stellt Abs. 5 keine Rechtsgrundlage dafür dar, fiktiv erzielbares Einkommen, z. B. aus Erwerbstätigkeit, auf das Alg II anzurechnen. Abs. 5 regelt keine eigenständigen Ausschlusstatbestände. Es handelt sich vielmehr um eine Grundsatznorm, die durch die Regelungen insbesondere über den Einsatz von Einkommen und Vermögen bzw. sonstige leistungshindernde Normen konkretisiert wird und regelmäßig nur im Zusammenhang mit ihnen Wirkung entfaltet (BSG, Urteil v. 27.9.2011, B 4 AS 202/10 R). Hierfür spricht dem BSG zufolge der Standort dieser Normen in den Allgemeinen Vorschriften des Ersten Kapitels des SGB II und der Umstand, dass das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende in den §§ 31 ff. konkrete Normen enthält.
Rz. 40
Die Bedarfsgemeinschaft muss sich aber auch Leistungen Dritter ohne rechtliche oder sittliche Verpflichtung zurechnen lassen, insbesondere von Angehörigen. Zum Kreis der Angehörigen vgl. § 16 Abs. 5 SGB X. Auf diesen Personenkreis beschränkt sich Abs. 5 indes nicht. Anderweitige Beseitigung der Hilfebedürftigkeit bezieht sich auf jegliche Möglichkeit dazu. Das reicht bis zur persönlichen Hilfe Dritter, soweit dadurch Leistungen zum Lebensunterhalt nicht mehr erforderlich wer...