Rz. 36
Hat der Leistungsberechtigte die Voraussetzungen einer der Grundtatbestände in § 31 (soweit gefordert, trotz (schriftlicher) Belehrung über die Rechtsfolgen, Abs. 1 und ohne vorgeschriebene Form Abs. 2 Nr. 2) erfüllt, tritt die Rechtsfolge nach § 31a dennoch nicht ein, wenn er für sein Verhalten einen wichtigen Grund nachweist (Abs. 1 Satz 2). Damit wird nicht nur dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot Genüge getan und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet, sondern insbesondere den individuellen, vielfältigen Lebenssachverhalten Rechnung getragen. Im Ergebnis sollen die Interessen des Leistungsberechtigten, die ein besonderes Gewicht haben und deshalb die Interessen der Allgemeinheit überwiegen, die Feststellung einer Leistungsminderung verhindern. Wichtige Gründe sind insbesondere danach festzustellen, ob das an sich sozialwidrige Verhalten von der leistungsberechtigten Person zu vertreten ist oder nicht (Beispiele: Störung im öffentlichen Verkehrsnetz zu einem Vorstellungstermin, Erkrankung während einer Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit, keine Freistellung eines beschäftigten Leistungsberechtigten durch den Arbeitgeber). Nach den Weisungen für die Jobcenter der gemeinsamen Einrichtungen setzt die Anerkennung eines objektiv wichtigen Grundes voraus, dass die leistungsberechtigte Person nicht zumutbare Konsequenzen bei Einhaltung der auferlegten Pflichten ertragen müsste. Liegt ein wichtiger Grund vor, ist der Leistungsberechtigte trotz des sozialwidrigen Verhaltens hinsichtlich der Pflichtverletzung exkulpiert, § 31a ist nicht mehr zu prüfen, weil kein Minderungssachverhalt i. S. d. § 31 vorliegt. Erst bei vollständiger Unabhängigkeit vom Bezug steuerfinanzierter Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist das Eingliederungsziel erreicht. Deshalb kann ein wichtiger Grund von vornherein wegen Arbeitsaufnahme nicht vorliegen, wenn weder eine Einstellungszusage noch deren Realisierung belegt werden kann. Der wichtige Grund findet sein Vorbild in der Sperrzeitvorschrift des § 159 SGB III. Dort hat sich das Tatbestandsmerkmal seit Jahrzehnten bewährt. Ein wichtiger Grund für eine Nichtfortführung einer zumutbaren Arbeit ist nicht deshalb entbehrlich, weil der Arbeitgeber (abstrakt) zu einer Kündigung während der Probezeit ohne Angabe von Gründen berechtigt ist (SG Landshut, Gerichtsbescheid v. 23.11.2017, S 7 AS 612/15).
Rz. 37
Die Beweislast trifft den Leistungsberechtigten; er hat den Nachweis über das Vorliegen eines wichtigen Grundes zu erbringen. Das bedeutet zunächst, dass der Leistungsberechtigte den Sachverhalt vortragen muss, aus dem er einen wichtigen Grund herleitet. Zudem trägt er die Beweislast für alle in seiner persönlichen Sphäre liegenden Umstände und für alle Umstände, soweit er nach seinen Möglichkeiten Nachweise erlangen und beibringen kann. Die Jobcenter sind deshalb aber noch nicht völlig aus ihrer Verantwortung entbunden. Auch sie treffen die aus Gesichtspunkten der Rechtsstaatlichkeit resultierenden Grundsätze der Amtsermittlungspflicht (§ 20 SGB X), wenn sich Anhaltspunkte ergeben, die auf einen wichtigen Grund hindeuten. An die Darlegungen durch den Leistungsberechtigten dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden (BVerfG, Beschluss v. 28.9.2010, 1 BvR 623/10). Sie muss ihnen nachgehen, wenn sie erkennt oder erkennen muss, dass der Leistungsberechtigte nach seinem Vermögen den Nachweis nicht erbringen kann oder nicht erkennt, dass ein spezifischer Sachverhalt, der ggf. in keiner Beziehung zum pflichtwidrigen Verhalten steht, ggf. einen wichtigen Grund i. S. d.s Rechts der Leistungsminderungen darstellen könnte. Das Jobcenter kann die Beweisführung dem Leistungsberechtigten überlassen, wenn dieser objektiv den Nachweis erbringen kann und auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist. In keinem Fall ist das Jobcenter dazu verpflichtet, ohne konkrete Anhaltspunkte ins Blaue hinein zu ermitteln. Andererseits genügt es auch, wenn der wichtige Grund nur objektiv vorliegt, der Leistungsberechtigte selbst ihn nicht einmal kennt. Insofern ist die Anwendung des Abs. 1 nicht auf Fälle der Darlegung und des Nachweises durch den Leistungsberechtigten beschränkt. Gesundheitliche Gründe als wichtiger Grund für eine Arbeitsablehnung müssen vom Leistungsberechtigten ausreichend dargelegt und zumindest ansatzweise substantiiert werden, ansonsten fehlt es an einem wichtigen Grund dafür, die Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses verhindert zu haben (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 26.6.2013, L 18 AS 1572/13 B PKH). Das kann aber nicht dazu führen, dass der Leistungsberechtigte quasi arbeitsmedizinische Gutachten über sich selbst verfassen muss. Es sollte genügen, wenn er Leiden vorträgt, die ersichtlich in Zusammenhang mit der Pflichtverletzung stehen. Die pauschale Behauptung, eine Leistungsminderung sei verfassungswidrig, stellt keinen wichtigen Grund i. S. d. Abs. 1 Satz 2 dar (vgl. Bay. LSG, Urteil v. 26.2.2015, L 7 AS 476/14). Der Leistungsberechtigte befi...