Rz. 43f
Aufgrund der Maßgabe des BVerfG für die weitere Anwendung des § 31a Abs. 1 Satz 1 bis 3 a. F. in den Fällen des § 31 Abs. 1 und im Anschluss daran durch die Neufassung des § 31a Abs. 3 ist vor der Feststellung einer Leistungsminderung bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen hierfür noch zu prüfen, ob der Feststellung eine außergewöhnliche Härte entgegensteht. Ist das der Fall, darf das Bürgergeld aufgrund der Vorschriften nicht gemindert werden, das Bürgergeld durfte schon nach der Rechtsprechung des BVerfG dann nicht vollständig entfallen, was allerdings in der Übergangszeit bis zu der gesetzlichen Neuregelung ohnehin nicht mehr festgestellt wurde. In der Verwaltungspraxis bedeutet dies, dass in Fällen einer außergewöhnlichen Härte auch eine Leistungsminderung von 10 % oder 20 % der maßgebenden Leistung für den Regelbedarf nicht festgestellt wird. Das ist die einzige Alternative zur verfassungswidrigen Feststellung der Leistungsminderung, eine nur teilweise Feststellung der Leistungsminderung kommt nicht in Betracht; eine entsprechende Regelung war dem Gesetzgeber vorbehalten, der davon aber keinen Gebrauch gemacht hat.
Rz. 43g
Der Begriff der Härte ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der als solcher vom Gericht voll nachgeprüft werden kann. Insofern ist aber nicht fraglich, ob dem Jobcenter ein Ermessen oder ein Beurteilungsspielraum zusteht, wenngleich die vorübergehend als gesetzliche Regelung anzusehende Übergangsvorschrift des BVerfG ausdrücklich formulierte, dass die Leistungsminderung nicht erfolgen musste, wenn dies im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände zu einer außergewöhnlichen Härte geführt haben würde. Eine solche Rechtsfolge ist nach § 31a Abs. 3 aber zwingend, es kommt also letztlich allein auf die Beurteilung der außergewöhnlichen Härte selbst an.
Rz. 43h
Die Rechtsprechung des BSG zum Sperrzeitrecht mit besonderer Härte nach dem SGB III lässt sich nicht ohne Weiteres auf das Leistungsminderungsrecht nach dem SGB II in der vom Bürgergeld-Gesetz formulierten Fassung übertragen. Es ist zu bedenken, dass im Sperrzeitrecht von der besonderen Härte ausgegangen wird, bei der Grundsicherung dagegen eine außergewöhnliche Härte Folge der Feststellung der Leistungsminderung sein muss. Die besondere Härte führt auch lediglich zur Verringerung der an sich 12 Wochen dauernden Sperrzeit auf (starr) 6 Wochen, während bei der Folge einer außergewöhnlichen Härte die Feststellung der Leistungsminderung überhaupt nicht erfolgen darf. Schließlich gehört das Instrument der Sperrzeit zum Versicherungsrecht und bezieht sich nicht auf die Erbringung existenzsichernder Leistungen, obwohl das Alg nach dem SGB III sehr wohl auch dazu dient, das Existenzminimum abzudecken, aber eben auch (deutlich) darüber hinaus gehen kann. Leistungsbeschränkungen durch die Sperrzeit beim Alg berücksichtigen zudem den Eigentumscharakter der erfüllten Anwartschaftszeit.
Rz. 43i
Nach § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ist ein Vermögenseinsatz schon bei einer (bloßen) Härte unzumutbar. Dem BSG zufolge müssen zur Annahme einer besonderen Härte beim Vermögenseinsatz nach § 12 Abs. 3 Nr. 6 a. F. (seit dem 1.1.2023: § 12 Abs. 1 Nr. 7) jedoch besondere Umstände vorliegen, die von dem Leistungsberechtigten ein deutlich größeres Opfer abverlangen als eine einfache Härte (BSG, Urteil v. 6.5.2010, B 14 AS 2/09 R).
Rz. 43j
Das BVerfG ist in seinem Urteil von der Überlegung ausgegangen, dass der Gesetzgeber mit der Feststellung einer Leistungsminderung und damit einem vorübergehenden Entzug existenzsichernder Leistungen eine außerordentliche Belastung schafft. Dies knüpft es an strenge Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit, die den ansonsten weiten Spielraum des Gesetzgebers in Bezug auf Eignung, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit von Minderungsbestimmungen beschränken. Das BVerfG hat gefordert, dass sich der Gesetzgeber über die Wirkungen der Leistungsminderung im Klaren sein muss, dazu darf er sich mit zunehmender Dauer der Geltung der Minderungsvorschriften immer weniger auf plausible Annahmen stützen. Er muss vielmehr die Möglichkeiten nutzen, zu fundierten Einschätzungen zu kommen, etwa durch Zusammentragen tragfähiger Erkenntnisse zur Eignung und Erforderlichkeit einer Leistungsminderung. So hat der Gesetzgeber auch das Sanktionsmoratorium damit begründet, Erkenntnisse in diesem Sinne zusammenzutragen. Im Übrigen vgl. die Komm. zu § 31a Abs. 3.
Rz. 44
Wenn eine Leistungsminderung weiterhin wichtiges Steuerungsinstrument der Jobcenter für das Anhalten zur Mitwirkung i. S. v. Erfüllung der Mitwirkungspflichten bleiben soll, darf die außergewöhnliche Härte nicht zum Regelfall werden, sondern muss Ausnahmecharakter haben. Mangels empirischer Erkenntnisse kann nur darüber spekuliert werden, in welchem Umfang tatsächlich die beschriebenen Folgen einer Leistungsminderung zu befürchten wären. Hält man an dem Begriff der Mitwirkungshandlung fest, hätte eine gänzliche Abschaffung von Leistungsminderungen dazu geführt, die derzeit in Kraft g...