Rz. 69
Das LAG Niedersachsen hat rechtsextremistische Aktivitäten auch in der Öffentlichkeit mit breiter Medienberichterstattung dem außerdienstlichen Verhalten zugeordnet, mit dem keine arbeitsvertraglichen Nebenpflichten verletzt würden, zumal der Arbeitgeber kein öffentlicher Arbeitgeber ist und keine politische Tendenz verfolge (LAG Niedersachsen, Urteil v. 21.3.2019, 13 Sa 371/18). Der Arbeitgeber konnte nicht damit durchdringen, dass er Mitarbeiter aus 112 Nationen beschäftigt und auf eine Historie mit Zwangsarbeitereinsatz zurückblickt und ihn deshalb eine besondere Verantwortung trifft, gegen jede Form von Fremdenfeindlichkeit oder rassistischem Gedankengut vorzugehen. Für das LAG darf der Arbeitnehmer seine Weiterbeschäftigung verlangen, es sah auch keine hinreichenden Gründe dafür, das Arbeitsverhältnis gegen Abfindung aufzulösen.
Rz. 69a
Vorsätzlich falsches Ausfüllen von Formularen zur Erfassung von Überstunden stellt grundsätzlich einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar. Bei der gebotenen Interessenabwägung kann das bewusste, kollusive Zusammenwirken mit anderen Beschäftigten zum Nachteil des Arbeitgebers zulasten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sein (BAG, Urteil v. 13.12.2018, 2 AZR 370/18).
Eine gefälschte Pflegedokumentation stellt einen schwerwiegenden Vertrauensmissbrauch dar (ArbG Siegburg, Urteil v. 7.8.2019, 3 Ca 992/19).
Rz. 69b
Ein Arbeitgeber darf einem Arbeitnehmer aus seinem arbeitsvertraglichen Weisungsrecht heraus keinen Telearbeitsplatz zuweisen, sofern er nicht berechtigt ist, einseitig den Arbeitsort zu ändern. Die Verweigerung der Telearbeit stellt keine beharrliche Arbeitsverweigerung dar. Die Umstände der Telearbeit können sich im Einzelfall in erheblicher Weise von einer Tätigkeit in der Betriebsstätte unterscheiden. Der Umstand, dass Arbeitnehmer z. B. zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf an Telearbeit interessiert sein können, führt nicht zu einer Erweiterung des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 10.10.2018, 17 Sa 562/18).
Rz. 69c
Das Kassieren von Fahrgeld durch einen Busfahrer ohne den Ausdruck von Fahrscheinen kann einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen. Der Busfahrer hatte auf einer wichtigen Tourismusstrecke mindestens 4 Kunden ohne Ticket durchgewinkt, aber den Fahrpreis vereinnahmt (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 16.8.2018, 10 Sa 469/18). Bei einer Unterschlagung bedarf es keiner Abmahnung (vgl. LAG Hamm, Urteil v. 24.10.2019, 17 Sa 1038/18).
Rz. 69d
Durch das Fußballschauen am Fernseher während der Arbeitszeit an einem dienstlichen PC wird während dieser Zeit keine Arbeitsleistung erbracht. Das rechtfertigt eine Abmahnung (ArbG Köln, Urteil v. 28.8.2017, 20 Ca 7940/16).
Rz. 69e
Unberechtigtes Fernbleiben von der Arbeit berechtigt nur zur außerordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber, wenn aus einer Interessenabwägung hervorgeht, dass es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Das ist etwa der Fall, wenn der Arbeitnehmer bereits wiederholt abgemahnt wurde, er wiederholt den Betriebsfrieden gestört hat und seinen Dienst vorzeitig unentschuldigt beendet hat (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 25.4.2018, L 18 AL 82/16).
Rz. 69f
Bei außerdienstlichem Verhalten ist eine außerordentliche Kündigung nicht ausgeschlossen, wenn das Verhalten die Eignung bzw. Zuverlässigkeit des Arbeitnehmers entfallen lässt. Dabei kommt es auf die Art und Schwere des Delikts, die konkret nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Tätigkeit sowie die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb an. Auch die Dauer der Betriebszugehörigkeit kann zu berücksichtigen sein. Vor diesem Hintergrund erhielt das LAG Düsseldorf eine außerordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers in einem Chemieunternehmen nicht aufrecht, der wegen versuchten Sprengstoffvergehens verurteilt worden war (LAG Düsseldorf, Urteil v. 12.4.2018, 11 Sa 319/17). Der Arbeitnehmer hatte zwar auch Zugang zu gefährlichen Chemikalien, die aber bei seiner Arbeit nicht verwendet wurden. Auch genügte es nicht, dass das Unternehmen in einem Chemiepark liegt, den der Arbeitgeber als generell sicherheitsrelevant eingestuft hat. Das LAG hat allerdings der Klage auf Weiterbeschäftigung nicht entsprochen, über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung hatte es nicht zu entscheiden.
Rz. 69g
Die Verletzung der Nebenpflicht des Arbeitnehmers, bei gegebener Veranlassung auf Wunsch des Arbeitgebers an einer ärztlichen Untersuchung zur Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit mitzuwirken, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darzustellen (BAG, Urteil v. 25.1.2018, 2 AZR 382/17). Je nach tariflicher oder einzelvertraglicher Regelung müssen berechtigte Zweifel an der Arbeitsfähigkeit vorliegen, es muss fraglich sein, ob der Arbeitnehmer gesundheitlich in der Lage ist, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung auf dem aktuellen Arbeitsplatz zu erbringen.
Der Arbeitnehmer hat nicht die Möglichkeit, ...