Rz. 75
Abs. 2 regelt weitere Sachverhalte sozialwidrigen Verhaltens, denen der Gesetzgeber das gleiche Gewicht beimisst wie den in Abs. 1 genannten Pflichtverletzungen. Dementsprechend sollen auch Rechtsfolgen im gleichen Umfang eintreten (Leistungskürzung von 10 % der maßgebenden Leistung für den Regelbedarf bei der ersten Pflichtverletzung nach Maßgabe des § 20). Für wiederholte Verstöße regelt § 31a Abs. 1 Satz 2 eine Leistungsminderung von 20 % bzw. 30 % des maßgebenden Regelbedarfs, d. h., auch Pflichtverletzungen nach Abs. 2 können wiederholte Pflichtverletzungen sein. Das gilt selbst dann, wenn ein erster Pflichtverstoß nach Abs. 2 auf einen Pflichtverstoß nach Abs. 1 folgt. Eine Ausnahme bildet eine Sperrzeit wegen eines Meldeversäumnisses nach § 159 SGB III (Abs. 2 Nr. 3), die wie ein Meldeversäumnis mit einer Leistungsminderung belegt werden soll (§ 31a Abs. 1 Satz 7), vgl. die Komm. zu §§ 31a, 32. Die Tatbestände des Abs. 2 entsprechen den früheren Regelungen im BSHG. Sie haben durch die Einführung des Bürgergeldes keine materiell-rechtliche Änderung erfahren. Die Regelung hat in der Praxis nur untergeordnete Bedeutung. Das ergibt sich aus der vergleichsweise geringen Fallzahl an Leistungsminderungen wegen der Herbeiführung von Hilfebedürftigkeit.
Rz. 75a
Abs. 2 Nr. 1 sieht eine Leistungsminderung für volljährige (voll geschäftsfähige) erwerbsfähige Leistungsberechtigte vor, die zur Schaffung der Voraussetzungen für das Bürgergeld ihre wirtschaftlichen Verhältnisse verschlechtern. Die Jobcenter stellen also bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen auch eine Prüfung der Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse an, die letztlich zur Hilfebedürftigkeit führte. Dabei stehen nicht allein die aktuellen Umstände im Fokus, die Hilfebedürftigkeit herbeigeführt haben, z. B. der Verlust der Arbeit (vgl. aber Abs. 2 Nr. 3). Geprüft werden Änderungen in den wirtschaftlichen Verhältnissen aufgrund von initiativen Handlungen oder bewussten Unterlassungen des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die eine Minderung (oder Verausgabung) seines Einkommens oder Vermögens zur Folge hatten. Das kann bei der Einkommensseite der Fall sein, wenn im Zusammenhang mit dem Verlust der Hauptbeschäftigung auch eine Nebenbeschäftigung oder geringfügige Beschäftigung aufgegeben wurde und deshalb das daraus erzielte Einkommen nunmehr nicht zur Minderung der Hilfebedürftigkeit zur Verfügung steht. Bei der Aufgabe geringfügiger Beschäftigungen dürfte eine besondere Rolle spielen, dass diese angesichts der Berücksichtigung des Einkommens nach Maßgabe der §§ 11 ff. nicht mehr lohnend erscheint. Dieser Effekt könnte sich seit dem Bürgergeld-Gesetz durch eine Freibetragserhöhung in § 11b Abs. 3 etwas abschwächen.
Rz. 75b
Deshalb sehen die Jobcenter Abs. 2 Nr. 1 im Regelfall als erfüllt an, wenn dem Leistungsberechtigten für die Aufgabe der kurzzeitigen Beschäftigung kein wichtiger Grund i. S. v. § 31 zur Seite steht. Ggf. bestehende und erfüllte Unterhaltspflichten können einen Sachverhalt nach Abs. 2 Nr. 1 nicht begründen (vgl. in diesem Zusammenhang auch § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7). Auf der Vermögensseite können Ersparnisse ohne erkennbaren Grund verausgabt worden sein oder Vermögen so verschoben worden sein, dass es nunmehr nicht mehr berücksichtigt werden kann, insbesondere durch Verlagerung auf eine Person außerhalb der Bedarfsgemeinschaft (z. B. Schenkung). Im Ergebnis muss der Leistungsberechtigte aber zielgerichtet gehandelt haben, um einen oder einen höheren Leistungsanspruch zu erwerben. Dies muss das entscheidende, wenn auch nicht das alleinige Motiv gewesen sein. Indirekt wirkende Handlungen sind nicht relevant für den Tatbestand. Weitere Motive können hinzutreten. In Betracht kommen z. B. Schenkungen oder die Tilgung von Altschulden, insbesondere auch der vorzeitige Verbrauch einmaliger Einnahmen. Dagegen wird der gescheiterte Versuch, eine selbstständige Tätigkeit aufzubauen, i. d. R. nicht als Tatbestand des Abs. 2 Nr. 1 zu werten sein. Ebenso ist der Bezug von Bürgergeld ggf. nur eine Nebenfolge des Unterlassens von Teilnahmen an Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung, daher kann aus diesem Handeln kein Tatbestand nach Abs. 2 Nr. 1 abgeleitet werden. Auch ein Verzicht auf Ansprüche, die kurzfristig realisierbar sind, mindert im Ergebnis das (mögliche) vorhandene Vermögen. Selbst verantwortungsloses Handeln genügt für die Feststellung eines Sachverhaltes für eine Leistungsminderung nach Abs. 2 Nr. 1 nicht.
Rz. 75c
Es genügen bereits geringfügige Ausgaben/Verlagerungen. Abs. 2 Nr. 1 ist bereits erfüllt, wenn für einen längeren Zeitraum oder höhere Leistungen erbracht werden müssen als ohne die Transaktionen des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen. Die Regelung bedroht aber nicht nur den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. Transaktionen anderer Personen der Bedarfsgemeinschaft werden von Abs. 2 Nr. 1 seit dem 1.4.2011 ebenso erfasst (vgl. § 31a Abs. 5). Stets zu prüfen sind auch Ersatzansprüche (§ 34). Ein Minderungsbe...