Rz. 85
Abs. 2 Nr. 4 betrifft Fälle, in denen die Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit nach § 159 SGB III erfüllt sind, die Agentur für Arbeit diese bzw. das Erlöschen des Anspruchs nach § 161 Abs. 1 Nr. 2 SGB III nicht feststellt, weil kein Anspruch auf eine Leistung besteht, die durch die Sperrzeit zum Ruhen gebracht werden oder erlöschen könnte, weil z. B. die Anwartschaftszeit für das Alg nicht erfüllt ist, ein Anspruch auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II aber besteht, weil nach dem Verlust der Arbeit kein (ausreichendes) Einkommen oder Vermögen zur Vermeidung von Hilfebedürftigkeit vorhanden ist. In diesen Fällen hat das Jobcenter die Rechtsfolge nach dem SGB II zu ziehen. Damit soll insbesondere gewährleistet werden, dass sich die Leistungsberechtigten nach dem SGB II in Bezug auf die Folgen ihres Verhaltens nicht besser stehen, weil sie keinen Anspruch auf die Versicherungsleistung Alg haben. Die Regelung bedingt eigene Sachverhaltsfeststellungen und eine eigene Entscheidung darüber, ob die Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit nach dem SGB III vorliegen. Ist das der Fall, sind die Rechtsfolgen des Abs. 2 Nr. 4 zwingend; dem Jobcenter bleibt kein Entscheidungsspielraum. In Fällen der Sperrzeitfiktion wegen Arbeitsaufgabe ist es unerheblich, ob die Beschäftigung vor oder während des Bezuges von Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II aufgenommen wurde, sofern es sich nur um eine versicherungspflichtige Beschäftigung handelt. Für den Umfang der Leistungsminderungen gilt § 31a.
Abs. 2 Nr. 4 ist keine Auffangvorschrift für Fälle, in denen die Agentur für Arbeit nach Auffassung des Jobcenters eine Sperrzeit zu Unrecht nicht festgestellt hat.
Rz. 86
Die Dauer der Rechtsfolge ist allein nach § 31b zu beurteilen, auch wenn die Dauer der Sperrzeit nach § 159 SGB III kürzer ausfallen würde. Ob der Fall einer unbilligen Härte nach dem Recht der Arbeitsförderung vorliegt, ist von der Grundsicherungsstelle gar nicht erst zu prüfen. Dasselbe gilt für den Umstand, ob ein Erst- oder Wiederholungsverhalten mit unterschiedlichen Rechtsfolgedauern nach § 159 SGB III vorliegt. Der Verstoß ist hinsichtlich seiner Rechtsfolgen allein nach §§ 31 ff. zu beurteilen; dadurch können prinzipiell Verstöße nach dem SGB III über die Verweisung nach Abs. 2 Nr. 4 zu verschärften Leistungsminderungen nach § 31a Abs. 1 führen. Vor der Feststellung der Leistungsminderung ist zusätzlich immer zu prüfen, ob sie nicht eine außergewöhnliche Härte für den Leistungsberechtigten bedeuten würde (§ 31a Abs. 4).
Rz. 87
Abs. 2 Nr. 4 ist im Ergebnis nur auf Fälle der Aufgabe einer versicherungspflichtigen Beschäftigung ohne Anspruch auf eine Versicherungsleistung der Arbeitsförderung (Alg I) anzuwenden. Dies ergibt sich aus der Notwendigkeit einer vorherigen Rechtsfolgenbelehrung. Für die Aufgabe nicht versicherungspflichtiger Beschäftigungen wäre eine Übertragung auf das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht gerechtfertigt (vgl. aber Abs. 2 Nr. 1). Es bedarf keiner Rechtsfolgenbelehrung nach dem SGB II, wenn für den Grundtatbestand nach § 159 SGB III keine Rechtsfolgenbelehrung vorgesehen ist. Abs. 2 Nr. 4 ist in dem Fall nicht anzuwenden, in dem ein Tatbestand bereits von Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 erfasst wird (Bay. LSG, Urteil v. 14.6.2018, L 11 AS 652/17).
Rz. 88
Abs. 2 Nr. 4 kann nicht im Sinne einer speziellen Gesamtregelung nur für Pflichtverletzungen Anwendung finden, die zeitlich vor einer Antragstellung auf Leistungen nach dem SGB II oder zeitlich vor dem Leistungsbeginn nach dem SGB II liegen. Abs. 2 Nr. 4 setzt nur voraus, dass das sperrzeitrelevante Ereignis zu einem Zeitpunkt eintritt, in dem eine Beziehung des Leistungsberechtigten zum Rechtskreis SGB III vorliegt, z. B. durch eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung (BSG, Urteil v. 22.3.2010, B 4 AS 68/09). Wurde eine Sperrzeit nicht tatsächlich nach dem Recht der Arbeitsförderung festgestellt, kommt eine Leistungsminderung nur in Betracht, wenn dies daran gescheitert ist, dass die Anwartschaftszeit nicht erfüllt war. Die Regelung bezweckt, diesen Personenkreis nicht besserzustellen als die Personen, die einen Anspruch auf das Alg haben, der aber zum Ruhen gebracht wird (§ 159 SGB III). Abs. 2 Nr. 4 ist keine Auffangnorm (BSG, Urteil v. 17.12.2009, B 4 AS 20/09). Das BSG hat aber bestätigt, dass auch bei einem Alg-Aufstocker eine Leistungsminderung festzustellen ist, wenn der Leistungsberechtigte eine versicherungspflichtige Beschäftigung zur Arbeitsförderung ohne wichtigen Grund aufgibt. Im Übrigen ist Abs. 2 Nr. 4 wie auch Abs. 2 Nr. 3 nur anwendbar, wenn das dem Leistungsberechtigten abverlangte Verhalten nicht bereits bei den anderen Minderungstatbeständen geregelt ist (vgl. in diesem Zusammenhang aber SG Berlin, Beschluss v. 26.8.2010, S 185 AS 24298/10 R, im Anschluss an BSG, Urteil v. 22.3.2010, B 4 AS 68/09 R).
Rz. 88a
Abs. 2 Nr. 4 gehört zu den Tatbeständen, die im Falle einer nachfolgenden Leistungsminderung als "Zählmi...