Rz. 94
Abs. 2 Satz 1 bestimmt, dass Leistungsberechtigte vor der Feststellung einer Leistungsminderung auf Verlangen im Regelfall persönlich anzuhören sind. Das stellt eine Möglichkeit für Leistungsberechtigte dar, ist für das Jobcenter wesentliche Voraussetzung, um die Voraussetzungen für die Feststellung der Leistungsminderung zuverlässig feststellen zu können (z. B. das Fehlen einer außergewöhnlichen Härte als Folge der Feststellung). Denn kommt das Jobcenter der Bitte um persönlichen Vortrag nicht nach, muss es sich bei später auftauchenden Unklarheiten in Bezug auf den Sachverhalt oder die Folgen einer Leistungsminderung vorhalten lassen, den Sachverhalt nicht ordnungsgemäß ausermittelt zu haben.
Rz. 95
Leistungsberechtigte sind ohnehin im Rahmen der Aufklärung des Sachverhalts der Pflichtverletzung und im Zusammenhang stehender Umstände gemäß § 24 SGB X anzuhören. Soweit die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten persönlich angehört werden möchten oder nach der Gesetzesbegründung Anhaltspunkte vorliegen, dass es ihnen nicht gelingt, die Umstände ihres Falles nur schriftlich darzulegen, soll die Anhörung in einem persönlichen Gespräch erfolgen. Dies kann demnach insbesondere bei Personen mit eingeschränkten Lese- und Schreibfähigkeiten, mit gesundheitlichen, insbesondere psychischen Problemlagen oder mit besonderen Belastungssituationen der Fall sein (vgl. BT-Drs. 20/3873).
Rz. 96
Das Gesetz verlangt unabhängig von Fürsorgediensten und Serviceleistungen durch das Jobcenter nur, dass der Leistungsberechtigte auf dessen Verlangen persönlich angehört werden soll. Der Leistungsberechtigte muss also von sich aus initiativ an das Jobcenter herantreten, um sein Anliegen nach persönlicher Anhörung vorzubringen. Dies ist an keine Form gebunden, kann also insbesondere auch telefonisch oder auf digitalem Wege erfolgen.
Rz. 97
Die Soll-Vorschrift bringt zum Ausdruck, dass eine Feststellung einer Leistungsminderung nicht automatisch rechtswidrig ist, wenn die Anhörung nicht persönlich erfolgt ist. Die persönliche Anhörung stellt aber bei einem entsprechenden Begehren des Leistungsberechtigten jedenfalls den Regelfall dar, das Ermessen für das Jobcenter ist eingeschränkt. Nur in atypischen Fällen darf das Jobcenter dem Verlangen entgegentreten und auf das persönliche Moment verzichten. Das ist z. B. denkbar, nachdem der Leistungsberechtigte bereits mehreren Terminvereinbarungen für die persönliche Anhörung ohne nachzuvollziehende Gründe nicht wahrgenommen hat, sodass eine Ernsthaftigkeit des Verlangens nicht mehr gegeben ist oder unter keinem Gesichtspunkt mehr mit einem neuen Vortrag zu rechnen ist, der auf die Sachverhaltsfeststellungen oder die Rechtsfolgen noch Einfluss nehmen kann, weil der Leistungsberechtigte bereits mehrfach und umfassend, auch persönlich, angehört worden ist. Dagegen ist dem Verlangen regelmäßig auch dann zu entsprechen, wenn der Leistungsberechtigte bereits Gelegenheit zum persönlichen Vortrag hatte, etwa im Zuge der persönlichen Antragstellung oder Antragsrückgabe, aber davon bei dieser Gelegenheit keinen Gebrauch gemacht hat. Eine aufsuchende persönliche Anhörung dürfte den Ausnahmefall darstellen, ist aber nicht ausgeschlossen. Für die Realisierung der persönlichen Anhörung kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an.
Rz. 98
Die Ablehnung eines Verlangens hat schriftlich mit Rechtsmittelbelehrung zu erfolgen. Es handelt sich um einen Verwaltungsakt, gegen den der Leistungsberechtigte vorgehen kann. Einen Aufschub der Minderungsentscheidung kann der Leistungsberechtigte allerdings nicht nach § 39 erreichen.
Rz. 98a
Abs. 2 ist auch in Fällen des Abs. 7 anzuwenden. Die Gelegenheit zur Stellungnahme, möglichst persönlich, kann auch in die Bewertung eingehen, ob eine Arbeit i. S. v. Abs. 7 willentlich nicht aufgenommen wurde.