2.4.1 Obergrenze für die Zusammenrechnung von Leistungsminderungen
Rz. 138
Eine Absenkung des Bürgergeldes um mehr als 30 % des maßgebenden Regelbedarfs für den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten i. S. d. § 20 (Abs. 4 Satz 1) liegt vor, wenn zeitgleich
- mehrere Rechtsfolgen nach Abs. 1 Satz 1 und Satz 3,
- mehrere Rechtsfolgen nach Abs. 1 Satz 2,
- eine Kombination von Rechtsfolgen nach Abs. 1 Satz 2 und 3,
- eine Kombination einer Rechtsfolge nach Abs. 1 Satz 3 nach dritter oder weiterer Pflichtverletzung mit einer Rechtsfolge nach § 32 wegen Meldeversäumnisses (Aufaddierung der Leistungsminderung mit der nach § 31a) oder
- vier Rechtsfolgen nach § 32
zusammentreffen. Diese Rechtsfolgen dürfen nach der Neufassung der Leistungsminderungsvorschriften aufgrund des Abs. 4 Satz 1 (wie schon zuvor in der Übergangszeit bis zum 30.6.2023 seit dem Urteil des BVerfG v. 5.11.2019) nicht mehr festgestellt werden.
Davon zu unterscheiden ist die Leistungsminderung nach Abs. 7 in Höhe des vollständigen maßgebenden Regelbedarfs bei wiederholter Arbeitsablehnung (zu dem Tatbestand vgl. Abs. 7 Satz 1).
Rz. 139
Zulässig sind demnach alle Leistungsminderungen, die nicht mit einer anderen Leistungsminderung zusammentreffen (§ 31 Abs. 1 und Abs. 2, § 32), das Zusammentreffen einer ersten Leistungsminderung nach § 31 Abs. 1 oder 2 (10 % des maßgebenden Regelbedarfs) mit einer ersten weiteren Leistungsminderung nach Abs. 1 Satz 2 (20 % des maßgebenden Regelbedarfs) oder eine Leistungsminderung nach Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 mit einer Leistungsminderung wegen Meldeversäumnis nach § 32 (10 %) oder höchstens 3 Leistungsminderungen wegen Meldeversäumnis nach § 32.
Rz. 140
Nach dieser aktuellen Rechtslage gilt weiterhin, dass bei Leistungsminderungen bis zu 30 % des maßgebenden Regelbedarfs grundsätzlich auf Einsparungen im Bereich des Regelbedarfs verwiesen werden kann. Ggf. kommen auch Darlehen nach § 24 Abs. 1 in Betracht.
Rz. 141
Für Leistungsberechtigte mit einer Minderung der Leistung für den Regelbedarf von genau 30 % sieht das Gesetz auch dann keinen Anspruch auf Sachleistungen vor, wenn sie zusätzlich eine Aufrechnung trifft, z. B. aus einem Darlehen oder einer Erstattungsforderung. Diese Kürzungen müssten für den Minderungszeitraum ausgesetzt werden, um den Leistungsberechtigten das Existenzminimum zu erhalten oder es müsste in Bezug auf die Gewährung von Sachleistungen eine neue Rechtsgrundlage geschaffen werden. Der Leistungsvorschuss nach § 42 Abs. 2 erscheint in diesem Zusammenhang nicht als geeignetes Instrument.
Rz. 142
In der Zeit des Sanktionsmoratoriums kamen Sachleistungen nach Abs. 3 nicht in Betracht, weil in diesem Zeitraum keine Leistungsminderungen gegriffen haben. Aufgrund des Verwaltungsvollzuges im Anschluss an die Rechtsprechung des BVerfG gab es für Abs. 3 ohnehin keinen Anwendungsbereich mehr. Auch soweit während des Sanktionsmoratoriums Leistungsminderungen wegen wiederholtem Meldeversäumnis festgestellt wurden, kamen Sachleistungen in aller Regel nicht in Betracht, weil nach § 84 Abs. 3 ein Kumulationsverbot galt.
2.4.2 Verbot der Minderung von Leistungen für Unterkunft und Heizung
Rz. 143
Leistungen zu den Kosten für Unterkunft und Heizung verringern sich im Falle der Feststellung einer Leistungsminderung nicht (Abs. 4 Satz 2). Der Gesetzgeber hat den Begriff des rechnerischen Zahlbetrages gewählt, weil Leistungsminderungen in Prozent des Regelbedarfes bemessen werden, die Leistungen für die Bedarfe an Unterkunft und Heizung gehören jedoch nicht zum Regelbedarf.
Rz. 144
Das Kürzungsverbot des Abs. 4 Satz 2 betrifft Leistungskürzungen, die sich in der Vergangenheit daraus ergeben haben, dass bereits Einkommen auf die Leistungen für den Regelbedarf (und ggf. für Mehrbedarfe nach § 21) angerechnet wurden. Der Minderungsbetrag nach § 31a Abs. 1 i. V. m. Abs. 4 oder § 32 i. V. m. § 31a Abs. 4 wurde und wird als Kürzungsbetrag errechnet, der seiner Höhe nach einem Prozentanteil aus dem (maßgebenden) Regelbedarf entspricht. Es wurde nach dem früheren Recht also zunächst nicht der Regelbedarf gekürzt, sondern betrachtet, was dem mit Leistungsminderung belegten Leistungsberechtigten als Leistung (Bürgergeld, bis 31.12.2022: Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld) zustand. Es war das Arbeitslosengeld II bzw. das Sozialgeld zu mindern, und falls Einkommen nach § 11 ff. zu berücksichtigen war, verminderte dies nach § 19 Abs. 3 Satz 2 zunächst die Regelbedarfe und Mehrbedarfe, erst zuletzt die Leistungen zu den Kosten für Unterkunft und Heizung. Je nach Höhe des Anrechnungsbetrages wurde unabhängig von der Leistungsminderung ggf. nur noch ein geringer Rest an Regelbedarf oder nur noch ein Mehrbedarf ausgezahlt, der Leistungsbetrag war jedoch für beide Teile der Leistung zusammengerechnet zu gering, um den Betrag der Leistungsminderung aufzufangen. In dieser Situation griff die Leistungsminderung auch die Leistungen zu den Kosten für Unterkunft und Heizung an. Dies ist seit dem 1.1.2023 verboten.
Rz. 145
Die dargestellte Problematik wiederholt sich beim Bürgergeld, weil auch dieses durch die Leistungsminderung als Betrag nach Abs. 1 Satz 1 bis Satz 3 errechnet verri...