Rz. 20
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach Abs. 2 Satz 1 werden nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht (krit. dazu Paulenz/Schoch, in: Münder/Geiger, SGB II § 37 Rz. 21, der die Regelung für nicht notwendig erachtet, da allein die Kenntnis des Grundsicherungsträgers von der Leistungsberechtigung nicht zur Leistungsgewährung ausreicht). Anders als § 324 SGB III ist nach dem SGB II eine Zulassung verspäteter Anträge nicht möglich. Ist der erwerbslose Hilfebedürftige mangels Dienstbereitschaft der Agentur für Arbeit nicht in der Lage, seinen Antrag zu stellen, wirkte der am nächsten Tag der Dienstbereitschaft gestellte Antrag nach der bisherigen Fassung von Abs. 2 Satz 2 auf den Tag zurück, an dem der Antrag eigentlich gestellt werden sollte. Diese gesonderte Regelung für den Fall, dass der zuständige Träger für Besucherverkehr nicht geöffnet hatte, ist entfallen. Insofern kommt in der genannten Fallkonstellation eine rückwirkende Leistungsgewährung nicht mehr in Betracht.
Rz. 21
Stattdessen ist nun in Abs. 2 Satz 2 geregelt, dass der Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf den Ersten des Monats zurückwirkt. Wird der Antrag postalisch oder per E-Mail gestellt, ist maßgebliches Datum der Tag des Posteingangs bzw. des E-Mail-Eingangs. Unter "Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts" fallen alle im Kapitel 3 Abschnitt 2 genannten Leistungen (Silbermann, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, § 37 Rz. 45). Auch die Leistung nach § 37 Abs. 1 Satz 2 fallen hierunter (BT-Drs. 17/3404, Begründung zu Art. 32 zu § 37, S. 188). Dagegen fallen Leistungen zur Eingliederung nicht unter Abs. 2 Satz 2 (allg. Meinung, vgl. Silbermann, a. a. O., Rz. 46). In der Gesetzesbegründung hat der Gesetzgeber zudem festgestellt, dass Einnahmen, die vor Antragstellung im Antragsmonat zufließen, als Einkommen bei der Feststellung des Leistungsanspruchs berücksichtigt werden (BT-Drs. 17/3404, Begründung zu Art. 32 zu § 37, S. 188; ebenso König, in: BeckOK, SGB II, § 37 Rz. 13).
Rz. 22
Die Rückwirkung nach Satz 2 greift auch dann, wenn für die Zeit zwischen dem Monatsersten und der Antragstellung mangels Hilfebedürftigkeit kein Leistungsanspruch bestand (BSG, Urteil v. 28.10.2014, B 14 AS 36/13 R). Wenn einem Antrag auf Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach Abs. 2 Satz 2 Rückwirkung zukommt, ist für die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen nicht der Zeitpunkt der Antragstellung, sondern der Beginn des Leistungszeitraums maßgeblich (BSG, Urteil v. 28.10.2014, B 14 AS 36/13 R; Bay. LSG, Urteil v. 21.3.2012, L 16 AS 202/11). Begründet wird dies damit, dass die Rückwirkung eine Privilegierung des Leistungsberechtigten darstelle, die es rechtfertigt, ihm auch den damit verbundenen "Nachteil" aufzubürden, dass ein Geldzufluss im Rückwirkungszeitraum als Einkommen betrachtet wird.
Rz. 23
Unterbleibt eine Antragstellung nach Abs. 1, weil der Arbeitsuchende nicht weiß, dass der Bezug von Grundsicherungsleistungen eine Antragstellung voraussetzt, liegt kein von Abs. 2 Satz 2 erfasster Fall vor. Ein nicht unmittelbar nach Eintritt der Anspruchsvoraussetzungen gestellter Antrag führt damit zu einem begrenzten Rechtsverlust (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 26.11.2008, L 2 AS 6052/07). Ein Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand besteht in diesen Fällen nicht, weil es sich bei Abs. 2 Satz 1 nicht um eine gesetzliche Frist handelt (BSG, Urteil v. 18.1.2011, B 4 AS 99/10 R; LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 26.11.2008, L 2 AS 6052/07; BSG, Urteil v. 16.5.2012, B 4 AS 166/11; ebenso: König, in: BeckOK, SGB II, § 37 Rz. 20; Silbermann, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, § 37 Rz. 48; Striebinger, in: Gagel, SGB II, § 37 Rz. 67).
Rz. 24
Mit Wirkung zum 1.1.2023 sind durch das Bürgergeld-Gesetz die Sätze 3 und 4 angefügt worden. Satz 3 enthält eine Regelung, um die Gewährung von Leistungen bei steigenden Heizenergiekosten sicherzustellen. Danach wirkt ein Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für einen einzelnen Monat, in dem aus Jahresabrechnungen von Heizenergiekosten oder aus der angemessenen Bevorratung mit Heizmitteln resultierende Aufwendungen fällig wird, auf den Ersten des Fälligkeitsmonats. Dies gilt auch dann, wenn der Antrag bis zum Ablauf des dritten Monats nach dem Fälligkeitsmonat gestellt wird.
Rz. 25
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts werden auf Antrag erbracht. Es gilt grundsätzlich das Gegenwärtigkeitsprinzip, d.h. Leistungen werden nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht, der Antrag wirkt aber auf den Ersten des Monats zurück. Für einen ggf. einmaligen Anspruch auf Leistungen muss der Antrag spätestens im Monat der Fälligkeit der Nachzahlungsforderung bzw. der Fälligkeit der Kosten einer Heizmittelbevorratung gestellt werden. Dies ist jedoch vielen Menschen, die infolge der Energiekostensteigerung plötzlich in eine Notsituation geraten, gar nicht bekannt. Bei späterer Antragstellung wären die Zahlungsverpflichtungen den Sch...