Rz. 4
In Abs. 1 ist die grundsätzliche Aufrechnungsmöglichkeit der Jobcenter geregelt. Danach ist die Aufrechnung mit Forderungen der Träger aus Erstattungsansprüchen oder Ersatzansprüchen grundsätzlich zulässig. Die Träger können gegen Ansprüche von Leistungsberechtigten auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufrechnen. Unter "Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts" kommen alle im Abschnitt 2 des SGB II genannten Geldleistungen in Betracht. Für andere Leistungen nach dem SGB II, z. B. Leistungen zur Eingliederung, oder Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Bildung und Teilhabe nach § 28 Abs. 2 und 5 bis 7 (die nach § 29 Abs. 1 Satz 1 durch Sach- und Dienstleistungen erbracht werden) kommt eine Aufrechnung nicht in Betracht.
Rz. 5
Die Ansprüche, mit denen die Träger der Grundsicherung gegenüber Ansprüchen der Leistungsberechtigten aufrechnen können, sind in Abs. 1 Nr. 1 bis 4 genannt. Der Katalog der dort genannten Ansprüche ist abschließend (Merten, in: BeckOK, SGB II; § 43 Rz. 10; Kemper, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, § 43 Rz. 31; Kallert, in: Gagel, SGB II, § 43 Rz. 40 und 43). Es handelt sich um folgende Erstattungs- und Ersatzansprüche:
- Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X: Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen,
- Ersatzanspruch nach § 34 oder § 34a: Ersatzansprüche bei sozialwidrigem Verhalten oder Ersatzansprüche bei rechtswidrig erhaltenen Leistungen,
- Erstattungsanspruch nach § 34b: Erstattungsanspruch bei Doppelleistungen oder
- Erstattungsanspruch nach § 41a Abs. 6 Satz 3: Überzahlungen, die nach der Anrechnung fortbestehen.
Die Forderung des aufrechnenden Leistungsträgers (Gegenforderung) muss mithin entstanden und fällig sein. Die gleichartige Forderung des Leistungsträgers, mit der aufgerechnet werden soll (Hauptforderung), muss zwar nicht fällig, aber bereits entstanden und erfüllbar sein muss (BSG, Urteil v. 24.7. 2003, B 4 RA 60/02 R; LSG Thüringen, Beschluss v. 9.2.2015, L 4 AS 1574/14 B; Kemper, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, § 43 Rz. 20; Kallert, in: Gagel, SGB II, § 43 Rz. 28). Daher kommt auch eine Aufrechnung mit künftigen Leistungsansprüchen des Hilfebedürftigen in Betracht (Kallert, in: Gagel, SGB II, § 43 Rz. 27). Insofern ist es für die Aufrechnung nicht entscheidend, ob eine Einrede gegen die Hauptforderung vorliegt (Kemper, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, § 43 Rz. 20).
Rz. 6
Fällig ist die Gegenforderung (Forderung des Leistungsträgers), wenn sie bestandskräftig festgestellt (Kemper, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, § 43 Rz. 19) oder sofort vollziehbar ist (Merten, in: BeckOK, SGB II, § 43 Rz. 12). Voraussetzung hierfür, dass die Forderung durch Bescheid bekanntgegeben wurde (Kallert, in: Gagel, SGB II, § 43 Rz. 28). Dabei wird es für zulässig erachtet, dass das Jobcenter den Ersatz- bzw. Erstattungsbescheid mit dem Aufrechnungsbescheid verbindet (Kallert, in: Gagel, SGB II, § 43 Rz. 28). Die Verjährung schließt die Aufrechnung nicht aus, wenn der Anspruch in dem Zeitpunkt noch nicht verjährt war, in dem erstmals aufgerechnet werden konnte.
Rz. 7
Abs. 1 setzt einen Erstattungs- oder Schadenersatzanspruch voraus. Ein Erstattungsanspruch besteht nach Nr. 1 bei § 50 SGB X, wenn ein Verwaltungsakt, mit dem die Bundesagentur eine Leistung zu Unrecht bewilligt hatte, nach den §§ 45, 47, 48 SGB X widerrufen oder zurückgenommen wurde. Erforderlich ist, dass der Leistungsberechtigte vorsätzliche oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat. Ein Verschulden Dritter kann dem Leistungsberechtigten nicht zugerechnet werden. Die Aufrechnung ist nur möglich, wenn ein (Rück-)Forderungsbescheid vorliegt. Dieser muss vollstreckbar sein, also entweder bestandskräftig sein oder aber es muss die sofortige Vollziehung angeordnet sein. Der Leistungsberechtigte muss vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht haben. Hat er lediglich unterlassen, eine Änderung i. S. v. § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I mitzuteilen, steht dies dem positiven Tun nicht gleich, mit der Folge, dass eine Aufrechnung nicht möglich ist. Nach Auffassung des LSG Berlin-Brandenburg darf die Aufrechnung i. d. R. nur bei Aufhebungsbescheiden möglich sein, die auf § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X beruhen. Sie darf nur erklärt werden, wenn ein vollstreckbarer Erstattungsbescheid nach § 50 SGB X vorliegt (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 19.7.2007, L 5 AS 278/06; ebenso Conradis, in: Münder/Geiger, SGB II, § 43 Rz. 6). Mietkautionsdarlehen dürfen nicht mit laufenden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach Maßgabe von § 43 aufgerechnet werden (Hess. LSG, Beschluss v. 29.1.2008, L 9 AS 421/07 ER).
Rz. 8
Nach Nr. 2 kommt eine Aufrechnung bei Erstattungsansprüchen nach §§ 34 und 34a in Betracht. Nach § 34 ist zum Ersatz der erbrachten Geld- und Sachleistungen verpflichtet, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ih...