Rz. 32
Nach Abs. 4 Satz 1 ist die Aufrechnung gegenüber der leistungsberechtigten Person schriftlich durch Verwaltungsakt zu erklären (zum Streitstand vor der Gesetzesänderung zum 1.8.2016 vgl. Kallert, in: Gagel, SGB II, § 43 Rz. 30). Der Verwaltungsakt muss Aussagen dazu enthalten, welche gegenseitigen Forderungen gegen welche Person in welcher Höhe ab wann gegeneinander aufgerechnet werden sollen. Zudem muss der Verwaltungsakt die Ermessensentscheidung und -begründung enthalten. Der Verwaltungsakt muss den Anforderungen an die Bestimmtheit von Verwaltungsakten nach § 33 SGB X entsprechend. Hinreichend bestimmt ist ein Verwaltungsakt nur dann, wenn die von ihm getroffene Regelung, die verfügte Rechtsfolge, vollständig, klar und unzweideutig erkennbar ist (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 15.11.2017, L 18 AS 2067/16, unter Hinweis auf BSG, Urteil v. 15.12.2010, B 14 AS 92/09 R). Daran mangelt es, wenn in dem Bescheid zwar eine Aufrechnung gegen eine bestehende Erstattungsforderung in monatlichen Raten bestimmter Höhe beschrieben ist, es aber auch unter Berücksichtigung der Gesamtumstände nicht erkennbar ist, ab welchem Zeitpunkt die Aufrechnung beginnen soll (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 15.11.2017, L 18 AS 2067/16; BSG, Urteil v. 7.2.2012, B 13 R 85/09 R). Der Verwaltungsakt muss auch Aussagen über die Höhe des Aufrechnungsbetrages beinhalten (Merten, in: BeckOK, SGB II, § 43 Rz. 14; Kallert, in: Gagel, SGB II, § 43 Rz. 3). Dagegen muss im Aufrechnungsbescheid keine Angabe zur Dauer der Aufrechnung gemacht werden. Dies wird u. a. damit begründet, dass wegen der Möglichkeit der Verlängerung des 3-jährigen Aufrechnungszeitraums eine verbindliche Dauer der Aufrechnung nicht sicher vorausgesehen werden kann (BSG, Urteil v. 13.12.2016, B 4 AS 14/15 R; Kallert, in: Gagel, SGB II, § 43 Rz. 71).
Rz. 33
Widerspruch und Klage gegen einen die Aufrechnung erklärenden Verwaltungsakt haben aufschiebende Wirkung. Es liegt kein Fall des § 39 vor (Kallert, in: Gagel, SGB II, § 43 Rz. 72). Bis zur abschließenden Entscheidung über den Rechtsbehelf darf daher nicht seitens des Jobcenters aufgerechnet werden. Die Aufrechnungsmöglichkeit ist nach Abs. 4 Satz 2 auf 3 Jahre beschränkt. Die Frist beginnt nach Kallert mit Ablauf des Monats der Bekanntgabe der Erstattungsentscheidung (Kallert, in: Gagel, SGB II, § 43 Rz. 64). Nach Ablauf der Frist endet für den gleichen Aufrechnungsanspruch die Möglichkeit weiterer Aufrechnungen (Merten, in: BeckOK, SGB II, § 43 Rz. 24). Ist also nach Ablauf von 3 Jahren die Gegenforderung durch Aufrechnung noch nicht vollständig erloschen, kann keine erneute Aufrechnung für diese Forderung vorgenommen werden. Dagegen kann ein neuer, vom vorherigen Anspruch unabhängiger Anspruch auf Erstattung oder auf Schadenersatz danach erneut aufgerechnet werden (Merten, in: BeckOK, SGB II, § 43 Rz. 24 m. w. N.). Der Vorgabe aus Satz 2 ist nicht zu entnehmen, dass das Ende der Aufrechnung im Verwaltungsakt nach Abs. 4 Satz 1 zu regeln ist (Conradis, in: Münder/Geiger, SGB II, § 43 Rz. 20). Dagegen spricht vielmehr, dass nach Abs. 4 Satz 3 Zeiten, in denen eine Aufrechnung nicht vollziehbar ist, den Aufrechnungszeitraum entsprechend verlängern (BSG, Urteil v. 9.3.2016, B 14 AS 20/15 R).
Rz. 34
Das Jobcenter ist aber nicht gehalten, den 3-Jahres-Zeitraum des Abs. 4 Satz 2 auszuschöpfen, sondern kann im Rahmen seines Auswahlermessens ("... endet spätestens ...") von vornherein eine kürzere Dauer der Aufrechnung erklären (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 14.9.2022, L 29 AS 620/18; Kallert, in: Gagel, SGB II, § 43 Rz. 65). Abs. 4 Satz 2 zwingt nicht zu einer Ausschöpfung der längstmöglichen Aufrechnungsdauer (BT-Drs. 17/3404 S. 117; BSG, Urteil v. 9.3.2016, B 14 AS 20/15 R m. w. N.). Es ist auch nicht erforderlich, eine ausdrückliche zeitliche Begrenzung im Rahmen des Aufrechnungsbescheides zu erklären. Es ist ausreichend, wenn der Leistungsträger die Aufrechnung aufhebt, wenn sie tatsächlich 3 Jahre durchgeführt worden ist (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 14.9.2022, L 29 AS 620/18; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 8.4.2021, L 7 AS 347/21 B). Von der Rechtsprechung bislang bejaht wurde die Frage, ob die zeitliche Begrenzung der Aufrechnung nach Abs. 4 unter dem Gesichtspunkt der Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhält. Eine engere zeitliche Begrenzung der Aufrechnung wird jedenfalls nach den bislang vorliegenden Gerichtsentscheidungen für verfassungsrechtlich als nicht geboten angesehen (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 14.8.2022, L 29 AS 620/18; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 8.4.2021, L 7 AS 347/21 B; Hess. LSG, Urteil v. 28.11.2018, B 14 AS 31/17 R).
Rz. 35
Zeiten, in denen die Aufrechnung nicht vollziehbar ist, verlängern den Aufrechnungszeitraum entsprechend, Satz 3. Satz 3 ist mit Wirkung zum 1.8.2016 eingefügt worden. Nach der Gesetzesbegründung wird durch die Einfügung klargestellt, dass eine Verlängerung des Aufrechnungszeitraums au...