0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift trat mit Art. 1 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt v. 24.12.2003 (BGBl. I S. 2954) am 1.1.2005 (Art. 61 Abs. 1 des genannten Gesetzes) in Kraft. Zuletzt ist § 44 im Rahmen der Neufassung des gesamten Kapitels 4 Abschnitt 1 (§§ 36 bis 44 SGB II) mit Art. 2 Nr. 32 des Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (BGBl. I S. ) zum 1.1.2011 erwähnt worden. Die Vorschrift ist aber unverändert geblieben.
1 Allgemeines
Rz. 2
Die Vorschrift dient der Einzelfallgerechtigkeit, indem sie die Leistungsträger ermächtigt, die Behandlung einer Forderung an die tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen und namentlich eine eigentlich mit den haushaltsrechtlichen Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit nicht zu vereinbarende Entscheidung zu treffen, nämlich auf eine fällige Forderung zu verzichten. Nach der Vorschrift können die Träger der Grundsicherung unter bestimmten Voraussetzungen Ansprüche erlassen. Der Erlass bedeutet den endgültigen Verzicht auf die Einziehung der Forderung. Möglich ist sowohl der Erlass der gesamten Forderung als auch der von nur Teilen hiervon. Der Erlass von Ansprüchen ist eine Ermessensentscheidung des zuständigen Trägers.
Rz. 3
Träger der Leistungen nach diesem Buch sind neben der Bundesagentur für Arbeit, den Kreisen und kreisfreien Städten auch die nach § 44b gebildeten gemeinsamen Einrichtungen. Träger können aber auch die nach Landesrecht auf der Grundlage von § 6 Abs. 1 Nr. 1 bestimmten Träger sein (Merten, in: BeckOK, SGB II, § 44 Rz. 3).
2 Rechtspraxis
2.1 Ansprüche
Rz. 4
Die Träger von Leistungen nach dem SGB II dürfen aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit Ansprüche erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Leistungsträger sind insoweit ermächtigt, die Behandlung einer Forderung an die tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen und eine eigentlich mit den haushaltsrechtlichen Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit nicht zu vereinbarende Entscheidung zu treffen. Unter Ansprüchen i. S. d. Vorschrift sind sowohl Schadenersatzansprüche als auch Rückzahlungsansprüche wegen zu Unrecht erhaltener Leistungen zu verstehen. Leistungen sind dabei mangels einer ausdrücklichen Begrenzung im Gesetzestext alle von den Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende gewährten finanziellen Hilfen (Conradis, in: Münder/Geiger/Lenze, SGB II, § 44 Rz. 3). Dies gilt nicht nur für das zu Unrecht erhaltene Arbeitslosengeld II und die Mehrbedarfszuschläge, sondern auch für die Unterkunfts- und Heizungskosten. Die Art der Ansprüche ist insoweit nicht eingeschränkt, auch zivilrechtliche Ansprüche unterfallen § 44 (Merten, in: BeckOK, SGB II, § 44 Rz. 4; Kemper, in: Luik/Harich, SGB II, § 44 Rz. 3). Erfasst werden nicht nur Ansprüche gegenüber dem Leistungsempfänger, sondern auch gegenüber Dritten, z. B. den Erben nach § 35 oder gegenüber Beschenkten bzw. Unterhaltspflichtigen (Merten, in: BeckOK, SGB II, § 44 Rz. 4; Conradis, in: Münder/Geiger/Lenze, SGB II, § 44 Rz. 3). Gleiches gilt auch für den Anspruch auf Darlehensrückzahlung (Conradis, in: Münder/Geiger/Lenze, SGB II, § 44 Rz. 4). Dies gilt auch nach Einfügung des § 42a zum 1.1.2011 (Conradis, in: Münder/Geiger/Lenze, SGB II, § 44 Rz. 4; Wendtland, in: Gagel, SGB II, § 44 Rz. 4a). In § 42a Abs. 2 werden nämlich Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 % des maßgeblichen Regelsatzes getilgt, ohne dass dem Grundsicherungsträger hier ein Ermessensspielraum zusteht. Eine Unbilligkeit der Aufrechnung kann daher bei der Durchführung der Aufrechnung durch den Grundsicherungsträger nicht berücksichtigt werden. Erforderlich ist, dass die Ansprüche noch bestehen (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 22.2.203, L 3 AS 32551/22; Hegelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 44 Rz. 25)
2.2 Unbilligkeit
Rz. 5
Ein Forderungserlass wegen persönlicher Unbilligkeit kommt in Betracht, wenn sich der Schuldner in einer Notlage befindet und zu besorgen ist, dass die Weiterverfolgung des Anspruchs zu einer Existenzgefährdung führt (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 16.2.2022, L 2 AS 1334/21 B; LSG Schleswig-Holstein, Urteil v. 29.10.2020, L 6 AS 99/18). Der Erlass der Forderung ist aus persönlichen oder sachlichen Gründen möglich (allg. Meinung vgl. Kemper, in: Luik/Harich, SGB II, § 44 Rz. 10). § 44 eröffnet zum einen die Möglichkeit, bei den Rücknahmefolgen den besonderen persönlichen Umständen Rechnung zu tragen (BSG, Urteil v. 25.4.2018, B 14 AS 15/17 R). Zum anderen kann eine Billigkeitsmaßnahme auch dann angezeigt sein, wenn die Anwendung einer in ihrer generalisierenden Wirkung verfassungsgemäßen Regelung im Einzelfall zu Grundrechtsverstößen führen würde und solange nicht die Geltung des Gesetzes unterlaufen wird (BSG, Urteil v. 25.4.2018, B 14 AS 15/17 R; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 29.6.2017, L 7 AS 395/16; Merten, in: BeckOK, SGB II, § 44 Rz. 7). Dies kann dann der Fall sein, wenn die ...