Rz. 54

§ 109a SGB VI verpflichtet den Träger der Rentenversicherung zur Beurteilung der Erwerbsfähigkeit i. S. d. Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hilfen in Angelegenheiten der Grundsicherung). § 224b SGB VI regelt eine Erstattungspflicht für die Begutachtungen in Angelegenheiten der Grundsicherung. Erstattungspflichtig ist der Bund.

 

Rz. 55

Die §§ 21 und 45 SGB XII treffen die Komplementärregelungen für die Sozialhilfe. Der Sozialhilfeträger kann zwar weiterhin den Rentenversicherungsträger um eine bindende Entscheidung ersuchen. Für den Träger der Sozialhilfe ist aber auch die Entscheidung im Widerspruchsverfahren durch die Agentur für Arbeit nach § 44a Abs. 1 bindend.

 

Rz. 56

Die Bindungswirkung des Trägers der Sozialhilfe bezieht frühere Feststellungen des Rentenversicherungsträgers und des Fachausschusses einer Werkstatt für behinderte Menschen nach § 45 Satz 3 Nr. 3 SGB XII ein und vermeidet auch dadurch Mehrfachbegutachtungen.

 

Rz. 56a

Aus dem Rechtsverhältnis zwischen Jobcenter und hilfebedürftiger Person ergeben sich auch Mitwirkungsobliegenheiten ihrerseits gegenüber dem Rentenversicherungsträger im Hinblick auf die von diesem abzugebende gutachterliche Stellungnahme zu ihrer Erwerbsfähigkeit. Werden hiernach rechtmäßig begründete Mitwirkungsobliegenheiten verletzt, kann das eine Versagung von existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II rechtfertigen (BSG, Urteil v. 26.11.2020, B 14 AS 13/19 R).

Diese Obliegenheiten und die Folgen ihrer Verletzung gelten uneingeschränkt auch dann, wenn die Feststellung nach § 44a Abs. 1 in das Gutachtenverfahren beim Rentenversicherungsträger nach Abs. 1 Satz 5 übergegangen ist. Insoweit begründet das Rechtsverhältnis zwischen Jobcenter und hilfebedürftiger Person zugleich Mitwirkungsobliegenheiten im Verhältnis zum Rentenversicherungsträger, soweit die abzugebende gutachterliche Stellungnahme zur Erwerbsfähigkeit die Beiziehung ärztlicher Unterlagen nach§ 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB I oder ärztliche oder psychologische Untersuchungen gemäß § 62 SGB I erfordert. Kommt die Person den erforderlichen Mitwirkungshandlungen nicht nach, erschwert das die Aufklärung des Sachverhalts für die von der Agentur für Arbeit auf der Grundlage der Stellungnahme des Rentenversicherungsträgers zu treffende Feststellung nach § 44a Abs. 1 Satz 1 und damit die Entscheidung über den Leistungsanspruch der Person unter Berücksichtigung der gutachterlichen Feststellung zu ihrer – aktuell bestehenden oder fehlenden – Erwerbsfähigkeit i. S. v. § 8.

Hinsichtlich welcher Angaben, Unterlagen oder Untersuchungen die Mitwirkung der hilfebedürftigen Person gefordert werden darf, ist anhand der Mitwirkungsvorschriften zu entscheiden. Zur Einwilligung in die Beiziehung ärztlicher Unterlagen oder zur Duldung einer ärztlichen oder psychologischen Untersuchung für die Zwecke des Feststellungsverfahrens nach Abs. 1 darf eine hilfebedürftige Person nur aufgefordert werden, soweit Zweifel an ihrer Erwerbsfähigkeit anders nicht auszuräumen sind. Leistet eine hilfebedürftige Person einem grundsätzlich berechtigten Mitwirkungsverlangen zur Klärung ihrer Erwerbsfähigkeit keine Folge, dürfen existenzsichernde Leistungen nicht versagt werden, wenn nicht auszuschließen ist, dass ihr die Mitwirkungshandlung krankheitsbedingt unmöglich ist, was insbesondere bei "psychischen Problematiken" der Fall ist, die das Gutachten des Ärztlichen Dienstes anführen kann. Der bloße Umstand, dass der Rentenversicherungsträger eine Unterlage als notwendig ansieht, begründet keine derartige Mitwirkungsobliegenheit oder gar Pflicht der hilfebedürftigen Person, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen der §§ 60 ff. SGB I nicht erfüllt sind.

Ein möglicher verwaltungsinterner Konflikt zwischen Agentur für Arbeit und Rentenversicherungsträger ist im Zweifel mithilfe der Aufsichtsbehörden zu klären, ein gerichtliches Verfahren bei einem Streit um die Hilfebedürftigkeit nach Abs. 4 ff. sieht das Verfahren zur Klärung der Erwerbsfähigkeit nach Abs. 1 ff. zwischen beiden Behörden nicht vor. Eine gerichtliche Entscheidung in einem Rechtsstreit zwischen Jobcenter und leistungsberechtigter Person über die Mitwirkungsobliegenheit der letzteren ist entsprechend dem Regelungskonzept des Abs. 1 ff. auch für den Rentenversicherungsträger bindend.

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