2.1 Grundsatz: Anzeige- und Nachweispflicht
2.1.1 Anzeige- und Nachweispflicht bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit
Rz. 7
Bereits nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I besteht die allgemeine Mitteilungspflicht für alle, die Sozialleistungen beantragen oder erhalten, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen. § 56 konkretisiert diese Mitwirkungspflicht für die Antragsteller und Bezieher von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.
Antragsteller und Bezieher der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach den §§ 19 ff. haben – wie Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber – gegenüber der Bundesagentur für Arbeit 2 Verpflichtungen:
- die Verpflichtung, der Agentur für Arbeit oder dem zugelassenen kommunalen Träger jede Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen ( Anzeigepflicht) und
- spätestens vor Ablauf des dritten Kalendertages nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer vorzulegen (Bescheinigungspflicht/Nachweispflicht).
2.1.2 Konkurrenz von § 56 SGB II und §§ 60 ff. SGB I
Rz. 8
Nach § 37 SGB I gelten die allgemeinen Mitwirkungspflichten der §§ 60 ff. SGB I grundsätzlich für alle Sozialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuches. Neben § 56 verbleibt es bei der Anwendbarkeit der allgemeinen Vorschriften. Gegenüber § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB I ist § 56 lex specialis und hat Vorrang (ebenso Blüggel, in: Eicher/Luik, SGB II, § 56 Rz. 5).
2.1.3 Anzeige- und Nachweispflicht bei Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit
Rz. 9
Die Anzeigepflicht ist eine Obliegenheit des Leistungsberechtigten (allg. Meinung, vgl. Thommes, in: Gagel, SGB II, § 56 Rz. 10 m. w. N.). Voraussetzung für die Verpflichtung der leistungsberechtigten Person zur Anzeige und Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit ist, dass diese Anzeige- und Bescheinigungspflicht in der Eingliederungsvereinbarung festgelegt ist. Nach der Gesetzesbegründung ist davon auszugehen, dass beim überwiegenden Teil der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten keine Gründe vorliegen, die einer Eingliederung in den Arbeitsmarkt entgegenstehen (BT-Drs. 18/8041 S. 60). Aus diesem Grund erfolgte die Ausgestaltung von Satz 1 als Sollvorschrift. Die Jobcenter sind damit i. d. R. verpflichtet, die Anzeige- und Bescheinigungspflicht in die Eingliederungsvereinbarung aufzunehmen. Die Verpflichtung zur Anzeige der Arbeitsunfähigkeit entsteht mit dem Abschluss der Eingliederungsvereinbarung bzw. mit der Bekanntgabe des ersetzenden Verwaltungsaktes (Fachliche Weisungender BA zu § 56, Stand: 20.3.2018). Die Verpflichtung erlischt, sobald der Leistungsbezug endet oder das Verwaltungsverfahren oder das Sozialrechtsverhältnis anderweitig beendet werden.
Rz. 10
Bis zum 30.6.2023 enthielt Abs. 1 die Formulierung, dass die Agentur für Arbeit den Leistungsberechtigten in der Eingliederungsvereinbarung oder in den diese ersetzenden Verwaltungsakt verpflichten konnte, die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer anzuzeigen. Ab dem 1.7.2023 ist nun in Abs. 1 eine gesetzliche Pflicht des Leistungsberechtigten normiert, den Eintritt und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit zu melden und die ärztliche Bescheinigung vorzulegen. Die in § 56 Abs. 1 Satz 1 geregelten Verpflichtungen zur Anzeige der Arbeitsunfähigkeit und zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit durch Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gelten nach § 56 Abs. 1 Satz 3 auch für den Fall, dass die Arbeitsunfähigkeit länger als in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung angegeben andauert. Der Leistungsberechtigte muss beide Mitwirkungspflichten unaufgefordert erneut erfüllen. Die Rechtslage entspricht derjenigen, welche nach § 5 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 EFZG für Arbeitnehmer und nach § 311 SGB III für Arbeitslose gilt.
2.2 Voraussetzungen im Einzelnen (Abs. 1)
2.2.1 Arbeitsunfähigkeit
Rz. 11
Nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ist der erwerbsfähige Leistungsberechtigte, der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beantragt hat oder bezieht, verpflichtet eine eingetretene Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen. Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit ist im SGB II nicht definiert. Da an den Personenkreis der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten angeknüpft wird, ist er jedoch – wie auch im SGB III – anhand des arbeitsrechtlichen Arbeitsunfähigkeitsbegriffes zu bestimmen. Weitgehend übereinstimmende Ergebnisse ergeben sich, soweit die Arbeitsunfähigkeit anhand des krankenversicherungsrechtlichen Begriffs bestimmt wird (vgl. Voelzke, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 56 Rz. 10). Ausgangspunkt ist daher die ständige Rechtsprechung des BAG (BAG, Urteil v. 25.10.1973, 5 AZR 141/73; BAG, Urteil v. 25.6.1981, 6 AZR 940/78), nach der Arbeitsunfähigkeit vorliegt, wenn:
- ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand vorliegt, der dem Arbeitnehmer die Verrichtung der Dienste unmöglich oder unzumutbar macht, oder
- der Erkrankte nicht oder nur mit der Gefahr, in absehbarer naher Zukunft seinen Zustand zu verschlimmern, fähig ist, seiner bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit nachzugehen.
Kurz gefasst ist arbeitsunfähig, wer aufgrund von Krankheit seine ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann.
Rz. 12
A...