2.1 Rechtscharakter des Schadenersatzanspruchs
Rz. 4
Bei den Schadenersatzansprüchen nach § 62 handelt es sich, entsprechend der Rechtslage bei § 321 SGB III, um Ansprüche aus der öffentlich-rechtlichen Inanspruchnahme zwischen den Trägern der Grundsicherung und den auskunftspflichtigen Arbeitgebern, Werkunternehmern oder Bestellern (vgl. BSG, Urteil v. 30.11.1990, 11 RAr 11/89, SozR 3-4100 § 145 Nr. 1 = NZA 1990, 790). Dem Leistungsberechtigten stehen aus § 62 keine Ansprüche gegen den Arbeitgeber zu. Ansprüche zwischen dem Leistungsberechtigten und seinem Arbeitgeber richten sich vielmehr nach den zivilrechtlichen Vorschriften (allg. Meinung vgl. Mushoff, in: BeckOK, SGB II, § 62 Rz. 4).
Rz. 5
Die zum Schadenersatz führenden Pflichtverletzungen sind in § 62 abschließend aufgeführt (Stachnow-Meyerhoff, in: jurisPK-SGB II, § 62 Rz. 11). Eine entsprechende Anwendung auf andere Auskünfte ist nicht möglich (vgl. zu § 98 Abs. 5 SGB X: BSG, Urteil v. 4.5.1994, 1 RS 2/92; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 30.11.2000, L 15 KR 3/98). Neben § 62 bestehen keine bürgerlich-rechtlichen Schadenersatzansprüche, weder aus den deliktischen Anspruchsgrundlagen der §§ 823 und 826 BGB noch aus dem Schuldverhältnis. Es besteht kein Bedürfnis, die Vermögensinteressen der Träger der Grundsicherung über die öffentlich-rechtlichen Regelungen des § 62 hinaus doppelt zu schützen (vgl. zu § 66 SGB I: BSG, Urteil v. 30.1.1990, 11 RAr 87/88). In der Praxis ist eine Inanspruchnahme des Leistungsberechtigten zumeist rechtlich ausgeschlossen und auch tatsächlich kaum möglich. Wird jedoch der Arbeitgeber, Werkunternehmer oder Besteller nach § 62 in Anspruch genommen, ist ein Rückgriff gegen den Leistungsberechtigten ausgeschlossen, weil anderenfalls die Schutzwirkungen des § 45 SGB X umgangen werden könnten (vgl. LAG Hamm, Urteil v. 26.9.1985, 8 Sa 824/85). Allerdings bleibt ein evtl. gegebener Erstattungsanspruch gegen den Leistungsbezieher neben dem Schadenersatzanspruch gegenüber dem Arbeitgeber bestehen (Hlava, in: Gagel, SGB II, § 62 Rz. 11; zur evtl. gesamtschuldnerischen Haftung vgl. Rz. 14 dieser Kommentierung).
Rz. 6
Der Leistungsberechtigte kann allerdings einen Schadenersatzanspruch gegen den Arbeitgeber, Werkunternehmer oder Besteller haben, wenn z. B. wegen der unrichtigen Einkommensbescheinigung die Leistungen des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende geringer ausfallen als bei korrekt ausgefüllter Einkommensbescheinigung. Dieser Schadensersatzanspruch ist durch § 62 nicht ausgeschlossen (Stachnow-Meyerhoff, in: jurisPK-SGB II, § 62 Rz. 13). Er muss sich jedoch ein Mitverschulden nach § 254 BGB zurechnen lassen, wenn er zu geringe Leistungen erhalten hat und es versäumt hat, Rechtsmittel gegen eine Entscheidung des Trägers der Grundsicherung einzulegen oder einen Antrag nach § 44 SGB X zu stellen (vgl. ArbG Passau, Urteil v. 12.5.1989, 2 Ca 47/89).
2.2 Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs
2.2.1 Bestehende Pflicht zur Bescheinigung oder Auskunft
Rz. 7
§ 62 setzt voraus, dass eine Einkommensbescheinigung oder eine Auskunft nach § 57 oder § 60 objektiv besteht. Es muss also die Verpflichtung tatsächlich bestehen, Tatsachen zum Einkommen des Leistungsberechtigten zu bescheinigen oder Auskünfte zu erteilen (vgl. zu § 145 AFG: BSG, Urteil v. 11.1.1989, 7 RAr 88/87; BSG, Urteil v. 16.10.1991, 11 RAr 119/90). Unter der Einkommensbescheinigung nach Nr. 1 ist nur die Einkommensbescheinigung nach § 58 umfasst (Heitmann, in: Münder/Geiger/Lenze, SGB II, § 62 Rz. 4). Danach ist eine Einkommensbescheinigung eine Bescheinigung über Art und Dauer dieser Erwerbstätigkeit sowie die Höhe des Arbeitsentgelts oder der Vergütung auf einem amtlichen Vordruck bezogen auf die Zeit, für die Leistungen beantragt wurden oder bezogen werden bzw. wurden. Fehlerhafte Angaben, die überflüssig und ohne Auswirkungen auf den Leistungsanspruch der oder des Hilfebedürftigen sind, begründen keinen Schadensersatzanspruch (Hlava, in: Gagel, SGB II, § 62 Rz. 99).
2.2.2 Unsorgsames Handeln
Rz. 8
Die zum Schadenersatz verpflichtende Handlung – die Pflichtverletzung gegenüber dem Träger der Grundsicherung – liegt in dem nicht, nicht richtig oder nicht vollständigen Ausfüllen der Einkommensbescheinigung oder der nicht, nicht richtigen oder nicht vollständigen Erteilung der Auskunft nach § 57 oder § 60. § 60 Nr. 2 ermächtigt die Jobcenter nach ihrem Sinn und Zweck grundsätzlich aber nicht dazu, von einem Partner des Leistungsberechtigten Auskunft mit Blick auf einen möglichen Schadensersatzanspruch zu verlangen (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 9.12.2022, L 229 AS 2166/17). Eine Einkommensbescheidung ist nicht vollständig ausgefüllt, wenn Angaben unterblieben sind, die nach § 58 erforderlich sind (Heitmann, in: Münder/Geiger/Lenze, SGB II, § 62 Rz. 5). Wird die Einkommensbescheinigung zu spät erstellt, kommt ein Schadenersatzanspruch nach § 62 Nr. 1 trotz des Fehlens der Formulierung "nicht rechtzeitig" in Betracht, wenn die Behörde eine angemessene Frist gesetzt hat (Heitmann, in: Münder/Geiger/Lenze, SGB II, § 62 Rz. 6; Blüggel, in: Luik/Harich, SGB II, § 62 Rz. 6, wonach die verspätete Erfüllung eine besondere Form der Nichterfüll...