2.2.1 Bestehende Pflicht zur Bescheinigung oder Auskunft
Rz. 7
§ 62 setzt voraus, dass eine Einkommensbescheinigung oder eine Auskunft nach § 57 oder § 60 objektiv besteht. Es muss also die Verpflichtung tatsächlich bestehen, Tatsachen zum Einkommen des Leistungsberechtigten zu bescheinigen oder Auskünfte zu erteilen (vgl. zu § 145 AFG: BSG, Urteil v. 11.1.1989, 7 RAr 88/87; BSG, Urteil v. 16.10.1991, 11 RAr 119/90). Unter der Einkommensbescheinigung nach Nr. 1 ist nur die Einkommensbescheinigung nach § 58 umfasst (Heitmann, in: Münder/Geiger/Lenze, SGB II, § 62 Rz. 4). Danach ist eine Einkommensbescheinigung eine Bescheinigung über Art und Dauer dieser Erwerbstätigkeit sowie die Höhe des Arbeitsentgelts oder der Vergütung auf einem amtlichen Vordruck bezogen auf die Zeit, für die Leistungen beantragt wurden oder bezogen werden bzw. wurden. Fehlerhafte Angaben, die überflüssig und ohne Auswirkungen auf den Leistungsanspruch der oder des Hilfebedürftigen sind, begründen keinen Schadensersatzanspruch (Hlava, in: Gagel, SGB II, § 62 Rz. 99).
2.2.2 Unsorgsames Handeln
Rz. 8
Die zum Schadenersatz verpflichtende Handlung – die Pflichtverletzung gegenüber dem Träger der Grundsicherung – liegt in dem nicht, nicht richtig oder nicht vollständigen Ausfüllen der Einkommensbescheinigung oder der nicht, nicht richtigen oder nicht vollständigen Erteilung der Auskunft nach § 57 oder § 60. § 60 Nr. 2 ermächtigt die Jobcenter nach ihrem Sinn und Zweck grundsätzlich aber nicht dazu, von einem Partner des Leistungsberechtigten Auskunft mit Blick auf einen möglichen Schadensersatzanspruch zu verlangen (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 9.12.2022, L 229 AS 2166/17). Eine Einkommensbescheidung ist nicht vollständig ausgefüllt, wenn Angaben unterblieben sind, die nach § 58 erforderlich sind (Heitmann, in: Münder/Geiger/Lenze, SGB II, § 62 Rz. 5). Wird die Einkommensbescheinigung zu spät erstellt, kommt ein Schadenersatzanspruch nach § 62 Nr. 1 trotz des Fehlens der Formulierung "nicht rechtzeitig" in Betracht, wenn die Behörde eine angemessene Frist gesetzt hat (Heitmann, in: Münder/Geiger/Lenze, SGB II, § 62 Rz. 6; Blüggel, in: Luik/Harich, SGB II, § 62 Rz. 6, wonach die verspätete Erfüllung eine besondere Form der Nichterfüllung ist; ebenso: Mushoff, in: BeckOK, SGB II, § 62 Rz. 5). Allerdings dürfte eine verspätete Erteilung der Auskunft nach Nr. 1 nur dann einen Schadenersatz begründen können, wenn der Grundsicherungsträger eine angemessene Frist für die Auskunft gesetzt hat und die gesetzte Frist vom Arbeitgeber nicht eingehalten wurde.
Rz. 9
Unproblematisch ist in der Praxis die vollständige Nichterfüllung oder die unvollständige Erfüllung der Bescheinigungs- oder Auskunftspflicht, jedenfalls soweit schriftliche Angaben auf Formularvordrucken verlangt werden. Unvollständig ist die Bescheinigung dann, wenn die in § 58 geforderten Angaben teilweise fehlen, die zur Ermittlung der Leistung erforderlich sind. Soweit in einem Formular Antworten erbeten werden, die vom Gesetz nicht gefordert sind bzw. die keine Relevanz für die Leistungsgewährung haben, führt eine unterlassene oder unrichtige Beantwortung dieser Fragen nicht zu einer Schadenersatzpflicht. Schwierig zu beurteilen kann hingegen die Frage des unrichtigen Ausfüllens sein. Unrichtig ausgefüllt ist eine Einkommensbescheinigung nur dann, wenn auf eine eindeutige Frage eine falsche Antwort gegeben wird. Werden zusätzliche Angaben getätigt oder werden zusätzlich Rubriken auf einem Formular falsch ausgefüllt, die andere, im konkreten Einzelfall nicht zutreffende Fallgestaltungen betreffen, liegt keine Pflichtverletzung vor (vgl. BSG, Urteil v. 30.11.1990, 11 RAr 11/89). Eine rechtliche Wertung darf in der Einkommensbescheinigung nach § 57 oder der zu erteilenden Auskunft nach § 57 nicht verlangt werden (Blüggel, in: Luik/Harich, SGB II, § 62 Rz. 12). Die Rechtslage entspricht derjenigen zu § 312 SGB III (vgl.BSG, Urteil v. 11.1.1989, 7 RAr 88/87). Selbst eine unrichtige Rechtsanwendung kann keinen Schadenersatzanspruch begründen, da nur die Angabe von Tatsachen erforderlich ist (vgl. BSG, Urteil v. 28.6.1991, 11 RAr 117/90).
2.2.3 Verschulden des Verpflichteten
2.2.3.1 Fahrlässiges Handeln
Rz. 10
Der Schadenersatzanspruch setzt voraus, dass die Pflichtverletzung schuldhaft begangen ist. Fahrlässigkeit ist ausreichend. Eine gesetzliche – auch für öffentlich-rechtliche Schadenersatzansprüche geltende – Definition der Fahrlässigkeit ist in § 276 Abs. 2 BGB enthalten (BAG, Urteil v. 8.12.1981, 3 AZR 71/79). Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Wie im bürgerlichen Recht gilt auch im öffentlichen Recht aufgrund des Vertrauensschutzes ein objektiver abstrakter Sorgfaltsmaßstab. Wie jeder Private im Rechtsverkehr, müssen sich auch die Träger der Grundsicherung darauf verlassen können, dass der andere die für die Erfüllung seiner gesetzlichen Pflichten erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt. Der Verpflichtete kann den Fahrlässigkeitsvorwurf daher weder durch fehlende Fachkenntnisse noch durch fehlende Verstandeskräfte, Geschicklichkeit, Ausbildung oder Köperkraft und erst recht ni...