2.2.3.1 Fahrlässiges Handeln
Rz. 10
Der Schadenersatzanspruch setzt voraus, dass die Pflichtverletzung schuldhaft begangen ist. Fahrlässigkeit ist ausreichend. Eine gesetzliche – auch für öffentlich-rechtliche Schadenersatzansprüche geltende – Definition der Fahrlässigkeit ist in § 276 Abs. 2 BGB enthalten (BAG, Urteil v. 8.12.1981, 3 AZR 71/79). Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Wie im bürgerlichen Recht gilt auch im öffentlichen Recht aufgrund des Vertrauensschutzes ein objektiver abstrakter Sorgfaltsmaßstab. Wie jeder Private im Rechtsverkehr, müssen sich auch die Träger der Grundsicherung darauf verlassen können, dass der andere die für die Erfüllung seiner gesetzlichen Pflichten erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt. Der Verpflichtete kann den Fahrlässigkeitsvorwurf daher weder durch fehlende Fachkenntnisse noch durch fehlende Verstandeskräfte, Geschicklichkeit, Ausbildung oder Köperkraft und erst recht nicht durch fehlende Gesetzeskenntnis ausräumen (vgl. auch Blüggel, in: Luik/Harich, SGB II, § 62 Rz. 10).
Der Arbeitgeber hatte die Einkommensbescheinigung nach § 58 nicht ausgefüllt. Er beruft sich gegenüber der Agentur für Arbeit darauf, er arbeite selbst mit und habe nicht die erforderliche Zeit für Papierkram, auch könne er sich keinen Steuerberater leisten. Niemand habe ihn über seine Verpflichtung aufgeklärt oder ihn auf den drohenden Schadenersatz hingewiesen. Alle angeführten Gründe vermögen den Arbeitgeber nicht zu entlasten; er handelt fahrlässig.
Kein Verschulden liegt vor, wenn das Formular der Bundesagentur für Arbeit Mängel aufweist, z. B. wenn darin unzulässige Fragen enthalten sind oder überflüssige Angaben gefordert werden.
2.2.3.2 Fahrlässiges Handeln von Erfüllungsgehilfen
Rz. 11
Zuletzt haftet der Verpflichtete auch, wenn er selbst korrekt handelt, sich aber eines fahrlässig handelnden Dritten zur Erfüllung seiner Verpflichtung bedient. Der auskunfts- oder bescheinigungspflichtige Arbeitgeber, Werkunternehmer oder Besteller muss für die Fahrlässigkeit seines Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB einstehen. Er kann sich nicht dadurch entschuldigen, dass er sich auf die sorgfältige Auswahl und Überwachung des Erfüllungsgehilfen beruft, da § 831 BGB auch nicht entsprechend anwendbar ist (BSG, Urteil v. 25.3.1982, 10 RAr 7/81; BSG, Urteil v. 21.10.1983, 7 RAr 41/82; aus der Literatur: Blüggel, in: Luik/Harich, SGB II, § 62 Rz. 12).
Der Arbeitgeber beauftragt seinen Steuerberater mit der Erstellung der Einkommensbescheinigung. Der Steuerberater verwechselt die Unterlagen und bescheinigt daher ein zu geringes Einkommen, sodass die Agentur für Arbeit zu hohe Zahlungen leistet. Der Arbeitgeber haftet nach § 62 auf Schadenersatz; er muss sich die Unsorgfältigkeit des Steuerberaters nach § 278 BGB zurechnen lassen.
2.2.3.3 Vorsätzliches Handeln
Rz. 12
Vorsätzlich handelt, wer den Schaden bewusst herbeiführen will; ebenso, wer zwar den Schadeneintritt nicht herbeiführen will, diesen jedoch billigend in Kauf nimmt und sicher weiß, dass der Schaden eintreten wird.
Der in der Praxis häufigste Fall des Vorsatzes ist jedoch der sog. bedingte Vorsatz. Er liegt bereits dann vor, wenn der Handelnde erkennt, dass aufgrund seiner Auskunft oder seiner Angaben in der Bescheinigung ein Schaden eintreten kann und er dies billigend in Kauf nimmt. Die Motivation oder der Beweggrund spielen keine Rolle.
Vorsatz wird i. d. R. dann vorliegen, wenn dem Vordruck das Auskunftsverlangen eindeutig zu entnehmen ist oder ein ausdrücklicher Hinweis auf die bestehende Pflicht durch den jeweiligen Leistungsträger erfolgt (zum Vorsatz auch: Blüggel, in: Luik/Harich, SGB II, § 62 Rz. 9). Der Vorsatz muss sich entsprechend der Rechtslage bei der Pflichtverletzung nach § 280 BGB und § 823 BGB nur auf die Pflichtverletzung, nicht auf den eingetretenen Schaden beziehen.
Ein Rechtsirrtum schließt vorsätzliches Handeln aus. In den allermeisten Fällen ist jedoch der Rechtsirrtum zumindest fahrlässig verursacht, sodass der Schadenersatzanspruch nach § 62 auf die Fahrlässigkeit gestützt werden kann (BGH, Urteil v. 9.2.1951, I ZR 35/50; BGH, Urteil v. 7.3.1972, VI ZR 169/70).