2.1 Grundsatz der Aufrechnung nach Satz 1
Rz. 5
§ 65e Satz 1 ermächtigt den zuständigen Träger der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende. Berechtigte Träger sind demnach die Bundesagentur für Arbeit mit ihren Dienststellen und die kommunalen Träger (Kreise und kreisfreie Städte), gleich, ob es sich um kommunale Träger i. S. d. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 oder zugelassene kommunale Träger nach § 6a handelt. Allerdings nehmen neben den zugelassenen kommunalen Trägern seit dem 1.1.2011 nur noch die Jobcenter als gemeinsame Einrichtungen (§§ 44b, 6d) die Aufgaben nach dem SGB II wahr. In dieser Wahrnehmungszuständigkeit sind sie ebenfalls berechtigt i. S. d. Satzes 1. Nach Maßgabe des § 76 Abs. 1 können die Träger 2011 auch noch isoliert und nebeneinander berechtigt sein (Agenturen für Arbeit und kommunale Träger mit getrennter Aufgabenwahrnehmung).
Rz. 6
Weitere Voraussetzung einer Aufrechnung durch den zuständigen Träger der Grundsicherung ist die Zustimmung des Trägers der Sozialhilfe i. S.e. Ermächtigung zur Aufrechnung im konkreten Einzelfall, aus der der Betroffene zweifelsfrei ermittelt werden kann. Das wird i. d. R. durch schriftliche Ermächtigung gewährleistet werden.
Rz. 7
Abweichend von § 43 und über diese Vorschrift hinausgehend dürfen auch – und nach § 65e nur – bestehende Ansprüche des Sozialhilfeträgers gegen den Leistungsberechtigten aufgerechnet werden. Dabei ist davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des § 289 BGB vorliegen. Der Anspruch des Sozialhilfeträgers muss also fällig und frei von Einreden, d. h. bestandskräftig festgestellt oder jedenfalls sofort vollziehbar sein. Hinsichtlich Aufrechnung und Forderung besteht Personenidentität. Forderungen des Sozialhilfeträgers dürfen also nur gegen den Anspruch derselben Person auf Grundsicherungsleistungen aufgerechnet werden, gegen die auch die Forderung des Trägers der Sozialhilfe besteht.
2.2 Verweisung auf die Aufrechnungsvoraussetzungen nach § 43 Satz 1
Rz. 8
Die Verweisung auf § 43 Abs. 2, 3 und 4 Satz 1 stellt klar, dass die Aufrechnung durch das Jobcenter gegenüber der leistungsberechtigten Person in jedem Fall durch Verwaltungsakt zu erklären ist. Die Bekanntgabe erfolgt damit regelmäßig durch einen rechtsmittelfähigen Bescheid. Das ermöglicht dem Betroffenen, gegen die Aufrechnung zunächst durch Widerspruch, ggf. aber auch durch Klage vor dem Sozialgericht vorzugehen. Die Jobcenter tun gut daran, die Leistungsberechtigten vor einer Aufrechnungserklärung nach § 24 SGB X anzuhören.
Rz. 9
§ 43 Abs. 2 und 3 enthalten Grenzen, die bei der jeweiligen Aufrechnung zu beachten sind.
Grundlage für Aufrechnungen nach § 65e sind daher hauptsächlich Erstattungsansprüche nach § 50 SGB X, die auf den §§ 45, 48 SGB X beruhen, denen eine rechtswidrige Leistungszahlung zugrunde liegt und die auch den Sozialhilfeträger zur Aufrechnung veranlassen konnten.
Rz. 10
Auch die Höhe der Aufrechnung wird durch die Bezugnahme auf § 43 Abs. 2 beschränkt. Sie darf nicht mehr als maximal 30 % der für den Hilfebedürftigen maßgebenden Regelleistung betragen. Damit soll sichergestellt werden, dass das zum Lebensunterhalt Unerlässliche dem Leistungsberechtigten auch für den Fall der Aufrechnung nach § 65e verbleibt. Vgl. im Übrigen die Komm. zu § 43.
Rz. 11
Über die Aufrechnung entscheidet die zuständige Grundsicherungsstelle durch eine Ermessensentscheidung (pflichtgemäßes Ermessen). Im Aufrechnungsbescheid sind dem Leistungsberechtigten die Ermessensgründe mitzuteilen.
2.3 Begrenzte Aufrechnungsfrist nach Satz 2
Rz. 12
§ 65e Satz 2 beschränkt die Aufrechnung wegen eines Anspruchs nach Satz 1 auf die ersten 2 Jahre der Leistungserbringung nach dem SGB II. Die Frist soll sich allein auf Satz 1 beziehen. Dadurch bleibt insbesondere unklar, wann die Frist beginnt. Dabei kann ausgeschlossen werden, dass es für die Frist auf den Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung ankommt. Das liefe der Intention des Gesetzgebers zuwider, eine Aufrechnung nur übergangsweise zu ermöglichen. Ginge man davon aus, dass die Aufrechnungserklärung bis zum 31.7.2008 abgegeben werden könnte (innerhalb von 2 Jahren nach Inkrafttreten des § 65e) und 2 Jahre lang aufgerechnet werden könnte, reichte die Aufrechnungsmöglichkeit bis Ende Juli 2010. Ginge man davon aus, dass nach einer Aufrechnungserklärung binnen 2er Jahre nach Inkrafttreten die Aufrechnung unbegrenzt möglich ist, würde § 65e Satz 2 als bloße Aufrechnungsfrist verstanden, nicht aber als Dauer der Aufrechnungsmöglichkeit. Dies ist abzulehnen.
Rz. 13
Fristbeginn i. S. d. Satzes 2 dürfte der erste Tag der Erbringung von Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II sein, jedoch kein Tag vor dem Inkrafttreten der Vorschrift am 1.8.2006. Das LSG Hamburg hingegen hält einen Fristbeginn am 1.1.2005 für möglich und rechtmäßig. Das gebe der Wortlaut der Vorschrift eindeutig her. Eine Korrektur des Wortlauts im Wege der teleologischen Reduktion käme nur dann in Betracht, wenn sich eine vom unmissverständlichen Wortsinn abweichende Regelungsabsicht des Gesetzgebers ermitteln ließe und die Formulierung im Gesetzestext zweifelsfrei ein bloßes Redaktionsversehen wäre (BSG, Urteil v. 24.11.1993, 6 RKa 3...