Rz. 225
Abs. 1 Satz 7 bestimmt ergänzend, dass aufenthaltsrechtliche Bestimmungen unberührt bleiben. Diese Klarstellung im Gesetz bezieht sich auf die Bestimmungen selbst wie auch auf die darauf beruhenden Entscheidungen, die von Ausländerbehörden getroffen werden. Allein die Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU 2004 sperrt die Anwendung des § 7 Abs. 1 Satz 4 HS 1. Die Bestandskraft der Entscheidung muss nicht eingetreten sein (LSG Hessen, Beschluss v. 9.2.2023, L 7 AS 447/22 B ER).
Rz. 226
Rechtsfolge des Abs. 1 Satz 7 ist insbesondere, dass ein Bezug von Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II Maßnahmen nicht entgegensteht und auch solche nicht verhindern kann, die auf eine Beendigung des Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland ausgerichtet sind (vgl. auch BT-Drs. 15/1516). Das BSG hat schon im Vorfeld der Einfügung von Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a ab 29.12.2016 klargestellt, dass der Leistungsausschluss nach Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 über den Wortlaut der Vorschrift hinaus auch dann greift, wenn keinerlei Aufenthaltsrecht besteht (BSG, Urteil v. 3.12.2015, B 4 AS 148/15, begrifflich mit dem sog. Erst-recht-Ausschluss).
Rz. 226a
Freizügigkeitsberechtigte Familienangehörige, die nicht Unionsbürger sind, erhalten zum Nachweis ihres Freizügigkeitsrechts eine Aufenthaltskarte für Familienangehörige von Unionsbürgern. Diese hat eine Gültigkeit bis zu 5 Jahre.
Rz. 227
Auch ein tatsächlich verfestigter Aufenthalt hat keine Auswirkungen auf die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts; insbesondere folgt daraus kein materielles Freizügigkeits- oder Aufenthaltsrecht im Sinne des Europa- oder Ausländerrechts, weil Abs. 1 Satz 7 aufenthaltsrechtliche Bestimmungen unberührt lässt.
Rz. 227a
Das Bay. LSG hat bezogen auf § 2 Abs. 1 AsylbLG entschieden, dass ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Leistungsberechtigten nicht erst dann vorliegt, wenn das Verhalten als unentschuldbar anzusehen ist. Genügend ist ein gesetzeswidriges, vorwerfbares Verhalten des Leistungsberechtigten, soweit dieses die Dauer des Aufenthalts beeinflusst. Vorwerfbar ist demnach der Entzug von der Überstellung bzw. der Abschiebung durch den Leistungsberechtigten als Folge des Aufenthalts im Kirchenasyl. Hinsichtlich der Rechtsmissbräuchlichkeit kommt es demnach weder auf die Zurückhaltung der staatlichen Behörden, die Überstellung bzw. Abschiebung der sich im Kirchenasyl aufhaltenden Leistungsberechtigten zwangsweise zu vollziehen, noch darauf an, ob das Verhalten der Kirchen, den von Abschiebung bedrohten Ausländern Kirchenasyl zur Verfügung zu stellen, mit den Werten der Gesellschaft vereinbar ist. Notwendig ist ein kausaler Zusammenhang zwischen dem vorwerfbaren Verhalten des Leistungsberechtigten und der Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes. Ausreichend hierfür ist demnach eine typisierende, also generell-abstrakte Betrachtungsweise; ein Kausalzusammenhang im eigentlichen Sinn ist nicht erforderlich (Bay. LSG, Urteil v. 28.5.2020, L 19 AY 38/18). Dagegen sieht das LSG Hessen keine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts i. S. v. § 2 Abs. 1 AsylbLG durch ein Kirchenasyl, wenn die Ausländerbehörde zu jeder Zeit den Aufenthaltsort des Ausländers kennt. Das Kirchenasyl stellt demnach dann weder ein tatsächliches noch ein rechtliches Abschiebehindernis dar; eine Abschiebung kann nötigenfalls unter Anwendung unmittelbaren Zwangs durchgesetzt werden. Verzichtet der Staat auf die Durchsetzung der Ausreisepflicht, kann das Vollzugsdefizit nicht dem Leistungsberechtigten als rechtsmissbräuchlich angelastet werden (LSG Hessen, Beschluss v. 4.6.2020, L 4 AY 5/20 B ER).
Rz. 227b
Ist der Lebensgefährte einer Unionsbürgerin und Vater des gemeinsamen noch nicht schulpflichtigen Kindes selbst kein Unionsbürger und hat einen Aufenthaltstitel aus familiären Gründen beantragt, sodass die Abschiebung nach § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ausgesetzt ist, kann er nach dem AsylbLG leistungsberechtigt sein. Es greift insoweit die Auffangvorschrift für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer, wenn kein Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG besteht. Das Unionsrecht verleiht dem Ausländer in diesem Fall keine eigene Rechtsposition, die ein Aufenthaltsrecht begründet. Er ist nicht freizügigkeitsberechtigt nach dem FreizügG/EU, wenn er kein Familienangehöriger der Unionsbürgerin und auch sein Lebensunterhalt nicht gesichert ist. Ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht sui generis scheidet aus, wenn nicht zu befürchten ist, dass die Unionsbürgerin mit dem Kind aufgrund der Abhängigkeit von ihm faktisch gezwungen ist, das Unionsgebiet insgesamt zu verlassen. Allein die faktische Notwendigkeit für die Unionsbürgerin, in einen anderen Mitgliedstaat zurückzukehren, weil nur dort alle Familienmitglieder einen gesicherten Aufenthaltsstatus haben, stellt keine mit dem faktischen Zwang zum Verlassen des Unionsgebietes vergleichbare Einschränkung ihres Unionsbürgerrechts dar (LSG Sachsen-Anhalt, Beschlus...