Rz. 410
Die angezweifelte Erwerbsfähigkeit i. S. d. Abs. 1 Nr. 2 muss nicht gerichtlich festgestellt werden, wenn die vom Jobcenter als erwerbsfähig erachtete Person als Partner einer erwerbsfähigen Person in einer Bedarfsgemeinschaft lebt und sich die als Bürgergeld nach § 19 Abs. 1 zu gewährenden Leistungen der Höhe nach nicht unterscheiden (LSG Schleswig-Holstein, Urteil v. 22.9.2014, L 6 AS 115/12).
Rz. 410a
Bestimmte Antragsvordrucke müssen für die Antragstellung auf Leistungen nicht genutzt werden, die Nutzung von Vordrucken ist jedoch für die Angabe von leistungsrechtlichen Tatsachen im Rahmen der Mitwirkungsvorschriften geboten (Bay. LSG, Beschluss v. 16.8.2017, L 11 AS 532/17 B ER). Der Hinweis eines Antragstellers darauf, dass keine anzeigepflichtigen Änderungen eingetreten sind, enthält demgegenüber eine dem Leistungsträger obliegende rechtliche Würdigung.
Es wird als unverhältnismäßig angesehen, von einer Person, die selbst keinen eigenen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt hat, ebenfalls alle Angaben zu verlangen, die im Zusammenhang mit einer Antragstellung nach dem SGB II regelmäßig abgefragt werden (LSG Hessen, Beschluss v. 4.2.2022, L 6 AS 551/21 B ER, unter Hinweis auf BSG, Urteil v. 24.2.2011, B 14 AS 87/09 R). Die Frage, ob die Pflicht zur Vorlage von Kontoauszügen der letzten 3 Monate ausnahmsweise auch den Dritten bzw. Partner i. S. d. § 60 Abs. 4 treffen kann, ist demnach höchstrichterlich noch nicht geklärt.
Rz. 410b
Bei Einkünften aus fortgesetzten Straftaten obliegt dem Antragsteller bzw. Leistungsempfänger die Darlegungs- und Beweislast für deren Höhe. Ggf. kann das Gericht von einem nicht bestehenden Hilfebedarf ausgehen (SG Duisburg, Urteil v. 29.5.2020, S 49 AS 3304/16).
Rz. 410c
In das Gesetzgebungsverfahren zum 12. SGB II-ÄndG sollte für die Zeit ab 2023 auch eine Regelung einmünden, nach der den übrigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft (zwingend) die Leistungen zu versagen oder zu entziehen gewesen wären, wenn einem Mitglied Leistungen nach § 66 SGB I versagt oder entzogen werden und die Mitwirkungspflichten gerade auch z. B. wegen der Berücksichtigung von Vermögen in der Bedarfsgemeinschaft alle Leistungsansprüche betreffen (§ 40 Abs. 9 und 10 n. F.). Nachdem das BSG darauf aufmerksam gemacht hatte, dass eine solche vorbildlose Regelung schwierige verfassungsrechtliche Fragen aufwirft, weil in der Rechtsprechung des BVerfG geklärt sei, dass der elementare Lebensbedarf eines Menschen grundsätzlich nur in dem Augenblick befriedigt werden kann, in dem er besteht (unter Hinweis auf BVerfG, Urteil v. 9.2.2010, 1 BvL 1/09), was die Möglichkeit, Leistungen nachträglich zu erbringen, nicht ausgleichen könne, wurde das Vorhaben aufgegeben. Eine Unterdeckung existenzsichernder Bedarfe müsse durch die Bedarfsgemeinschaftsregelungen dem BSG zufolge tatsächlich verhindert werden (unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss 27.7.2016, 1 BvR 371/11). Im Zusammenhang mit der Erfüllung von Mitwirkungspflichten habe das BVerfG zuletzt betont, es müsse "den Betroffenen tatsächlich möglich sein, die Minderung staatlicher Leistungen durch eigenes zumutbares Verhalten abzuwenden und die existenzsichernde Leistung wiederzuerlangen" (unter Hinweis auf BVerfG, Urteil v. 5.11.2019, 1 BvL 7/16). Zudem hat das BSG auf seine Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Partnereinkommen (Urteil v. 1.7.2009, B 4 AS 78/08 R), zur Konstruktion der "nichtfunktionierenden Bedarfsgemeinschaft" (Urteil v. 14.2.2018, B 14 AS 17/17 R) und zur Verhinderung einer "faktischen Mithaftung" im Zusammenhang mit Leistungsminderungen (Urteile v. 23.5.2013, B 4 AS 67/12 R, und v. 2.12.2014, B 14 AS 50/13 R) hingewiesen, um der gesetzgeberischen Annahme einer begünstigenden Regelung zu begegnen, weil auf der Grundlage des geltenden Rechts angeblich in Fällen der zu regelnden Art Leistungen wegen nicht nachgewiesener Hilfebedürftigkeit abgelehnt würden. Die Argumentation berücksichtige nicht, dass solche Beweislastentscheidungen nur eingeschränkt zulässig sind.