Rz. 2
Die Vorschrift definiert Erwerbsfähigkeit, die nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 Tatbestandsmerkmal bei der Bestimmung des für Leistungen nach dem SGB II berechtigten Personenkreises ist. Erwerbsfähigkeit ist entscheidendes Abgrenzungskriterium zugunsten eines eigenständigen Anspruches auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Bürgergeld nach § 19 Abs. 1 Satz 1) gegenüber Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII. Ohne Erwerbsfähigkeit ist ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II davon abhängig, dass die betroffene Person einer Bedarfsgemeinschaft mit mindestens einer anderen erwerbsfähigen Person angehört. Dann kann sie immerhin noch Bürgergeld nach § 19 Abs. 1 Satz 2 erhalten. Sie enthält Komponenten aus dem Rentenrecht (vgl. § 43 SGB VI). Der rentenrechtliche und grundsicherungsrechtliche Begriff der Erwerbsfähigkeit sind nach der Rechtsprechung nicht deckungsgleich. Das liegt an der sog. Arbeitsmarktrente bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes. Diese wird als "Erwerbsunfähigkeitsrente" (auf Zeit) gewährt, obwohl objektiv noch ein Restleistungsvermögen vorhanden ist, das Erwerbsfähigkeit ausweist.
Rz. 2a
Erwerbsfähig i. S. der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist nach Abs. 1 jede Person, die unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Erwerbsfähigkeit in diesem Sinne liegt nicht mehr vor, wenn Krankheit oder Behinderung ursächlich dafür sind, dass eine Erwerbstätigkeit unter diesen Bedingungen oder in diesem Umfang auf absehbare Zeit nicht ausgeübt werden kann. Leistungen zum Lebensunterhalt erhalten die als erwerbsfähige Personen oder mit diesen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen dem Grunde nach Leistungsberechtigten nach dem SGB II nach § 21 Satz 1 SGB XII nicht. Das Verlangen nach Abs. 1, dass Antragsteller auf absehbare Zeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens 3 Stunden täglich erwerbsfähig sein können müssen, schließt ein, dass auch die Personen erwerbsfähig sind, die die gesundheitlichen Voraussetzungen innerhalb der nächsten 6 Monate erfüllen (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 12.5.2014, L 8 SO 31/14 B ER). Daraus folgt, dass bei einer negativen Prognose kein Anspruch auf Bürgergeld nach § 19 Abs. 1 Satz 1 besteht, jedoch als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft mit mindestens einer anderen erwerbsfähigen Person ggf. ein Anspruch auf Bürgergeld nach § 19 Abs. 1 Satz 2. Nach Ablauf des Bewilligungszeitraums ist eine neue Prognose anzustellen. Im positiven Fall (Erwerbsfähigkeit innerhalb der nächsten 6 Monate) besteht dann ein Anspruch auf das Bürgergeld nach § 19 Abs. 1 Satz 1.
Rz. 2b
Die Entscheidung über die Erwerbsfähigkeit ist Aufgabe der Agenturen für Arbeit als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und als solche in § 44a festgeschrieben worden. Deren Aufgaben wiederum werden von den Jobcentern der gemeinsamen Einrichtungen (§ 44b) bzw. zugelassenen kommunalen Trägern (§ 6a) wahrgenommen. Eine gemeinsame Einigungsstelle wie nach dem bis zum 31.12.2010 maßgebenden Recht ist seit der Neuorganisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende seit dem 1.1.2011 nicht mehr vorgesehen. Vom kommunalen Träger, dem bei voller Erwerbsminderung zuständigen Träger und der Krankenkasse, die bei Erwerbsfähigkeit Leistungen der Krankenversicherung zu erbringen hätte (§ 44a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3), kann jedoch Widerspruch gegen die Entscheidung über das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit erhoben werden. Dann ist (allein) die Auffassung des Rentenversicherungsträgers maßgebend. Ob der Gesetzeswortlaut in Abs. 1 "auf absehbare Zeit" oder "auf nicht absehbare Zeit" abstellt, ist für das rechtliche Ergebnis nicht relevant, obwohl der, der "nicht ... auf absehbare Zeit außerstande ist", ja auf unabsehbare Zeit außerstande ist und damit dem Wortlaut nach nicht erwerbsfähig ist, während der, der "nicht ... auf nicht absehbare Zeit außerstande ist" nur auf absehbare Zeit außerstande und damit erwerbsfähig ist, denn richtigerweise wird in der Literatur auf die Historie der Vorschrift verwiesen, aus der die gemeinte Definition für Abs. 1 klar hervorgeht. Eine positive Umschreibung der Erwerbsfähigkreit wäre gleichwohl anzuraten.
Rz. 2c
Abs. 2 trifft eine Sonderregelung für Ausländer, die über die physische und psychische Fähigkeit zur Erwerbstätigkeit nach den Anforderungen des Abs. 1, also der Erwerbsfähigkeit aus gesundheitlicher Sicht hinausgeht. Erwerbsfähigkeit eines Ausländers wird an die Legalität einer hypothetischen Erwerbstätigkeit, also eine ausländerrechtliche Voraussetzung, geknüpft. Ein grundsätzlich erwerbsfähiger Ausländer ist außerstande i. S. d. Abs. 1, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein, wenn ihm die Aufnahme einer Beschäftigung nicht erlaubt ist oder zumindest erlaubt werden könnte. Dies bestätigt seit dem 1.4.2011 ausdrücklich Abs. 2 Satz 2. Damit soll für die...