Rz. 3
Die Vorschrift entspricht in ihren Tatbestandsmerkmalen § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI, ohne dass der grundsicherungsrechtliche Begriff der Erwerbsfähigkeit mit dem nach dem Rentenrecht deckungsgleich wäre. Es kommt auf die individuelle gesundheitliche Leistungsfähigkeit wie auch auf damit in Verbindung stehende rechtliche Einschränkungen aus dem Ausländerrecht an. Abs. 1 nimmt darauf nicht Bezug, dennoch ist nicht zweifelhaft, dass es sich um abgestimmte Regelungen handelt. Jedenfalls stellt der Rentenversicherungsträger nach den rentenrechtlichen Merkmalen in den nach § 44a relevanten Fällen fest, ob Erwerbsfähigkeit vorliegt oder nicht.
Rz. 4
Der Gesetzgeber hat der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nach dem SGB II in eine Erwerbstätigkeit Vorrang eingeräumt und damit seine Grundvorstellungen von der Umsetzung der Grundsicherung für Arbeitsuchende definiert. Damit sieht es das BSG als unvereinbar an, bei einem Restleistungsvermögen von 3 bis unter 6 Stunden täglich für eine Erwerbstätigkeit und Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes (vgl. die sog. "Arbeitsmarktrente") von fehlender Erwerbsfähigkeit i. S. v. Abs. 1 auszugehen und damit den betroffenen Personenkreis von vornherein von Leistungen zur Eingliederung in Arbeit auszuschließen (BSG, Urteil v. 21.12.2009, B 14 AS 42/08 R). Damit stimmt rein rechtlich betrachtet das gesetzgeberische Konstrukt mit der rentenrechtlichen Praxis überein. Im Falle der Gewährung einer Rente wegen verschlossenem Arbeitsmarkt werden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zum Lebensunterhalt nur noch gewährt, wenn die Rente zusammen mit ggf. weiteren Einkünften und Vermögen nicht ausreicht, um die Bedarfe der Bedarfsgemeinschaft vollständig zu decken. Die Rente wird also – wie andere Sozialleistungen auch – faktisch nur auf Grundsicherungsniveau aufgestockt. Unpassend ist allein der Umstand, dass der Arbeitsmarktrentner, anders als der Wortlaut dieses Begriffes verspricht, eben gerade nicht für eine Erwerbstätigkeit auf dem Arbeitsmarkt im Umfang von wenigstens 3 Stunden täglich zur Verfügung steht. Dennoch ist das Ergebnis in rechtlicher Hinsicht zutreffend, weil die rentenrechtlichen Regelungen zur Beurteilung der Erwerbsfähigkeit allein nicht ausreichen, sondern es aufgrund der Besonderheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende einer eigenständigen Bewertung und Entscheidung bedarf. Solange noch die Möglichkeit besteht, ein Restleistungsvermögen für eine Erwerbstätigkeit einzusetzen, hat das Ziel des SGB II Vorrang, betroffene Personen in eine Erwerbstätigkeit zu integrieren.
Rz. 5
Der Grad der Einschränkung der Erwerbsfähigkeit wird nach Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus den Faktoren "Schaden" (impairment), "funktionelle Einschränkung" (disability) und "soziale Beeinträchtigung" (handicap) abgeleitet. Allerdings schließt auch eine hohe Minderung der Erwerbsfähigkeit eine berufliche Tätigkeit nicht aus. Das stimmt mit den Grundregeln der Grundsicherung für Arbeitsuchende überein, weil ja bereits bei einem Leistungsvermögen von 15 Stunden wöchentlich Erwerbsfähigkeit anerkannt wird.
Rz. 6
Seit 2001 ist das Begriffspaar Erwerbsfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit im Rentenrecht durch das Begriffspaar Erwerbsfähigkeit und Erwerbsminderung ersetzt worden. Es wird zwischen voller und teilweiser Erwerbsminderung unterschieden. Teilweise erwerbsgemindert sind Personen, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Arbeitsmarktbedingungen mindestens 6 Stunden täglich zu arbeiten. Dabei wird eine 5-Tage-Woche zugrunde gelegt. Bei voller Erwerbsminderung kann der Betroffene nicht einmal mehr 3 Stunden täglich arbeiten. Der Begriff der Erwerbsfähigkeit ist weiter als der der Arbeitsfähigkeit, der mit der Definition in § 138 Abs. 1 Nr. 3 für die Arbeitslosenversicherung gilt. Bedingungen des Arbeitsmarktes betreffen die Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, gleich, ob Arbeitsplätze frei sind oder nicht.
Rz. 6a
Unter Krankheit wird ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Körperzustand verstanden, der einer Minderung der Erwerbsfähigkeit zugrunde liegt. Der Begriff ist nicht identisch mit Arbeitsunfähigkeit. Krankheit kann Arbeitsunfähigkeit aber begründen. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat am 21.6.2012 Änderungen der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie beschlossen und Arbeitsunfähigkeit i. S. der Grundsicherung für Arbeitsuchende neu definiert. Arbeitsunfähigkeit liegt danach vor, wenn der Betroffene krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, mindestens 3 Stunden täglich zu arbeiten oder an einer Eingliederungsmaßnahme teilzunehmen. Dagegen sind nach dem Arbeitsförderungsrecht Arbeitslose weiterhin dann arbeitsunfähig, wenn sie krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage sind, leichte Arbeiten in einem zeitlichen Umfang zu verrichten, für den sie sich der Agentur für Arbeit zur Verfügung gestellt haben. Psychische Störungen können eine volle Erwerbsmin...