2.1 Stammrecht auf Arbeitslosengeld
Rz. 3
Mit der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen nach Abs. 1 entsteht der Anspruch auf Alg, der Arbeitnehmer hat ein Stammrecht auf die Leistung erworben. Es handelt sich dabei um ein persönliches Recht des Arbeitslosen unabhängig von etwaigen Familienangehörigen oder Personen, mit denen er in einer Haushaltsgemeinschaft lebt. Zur Entstehung des Anspruchs ist keine Antragstellung auf Alg erforderlich, diese Voraussetzung gehört zu den verfahrensrechtlichen Bestimmungen. Allerdings verhindert ein fehlender Antrag, dass die Versicherungsleistung zahlbar gemacht werden kann. Es entsteht ein Stammrecht, aber kein Leistungsanspruch i. S. eines Auszahlungsanspruches. Leistungen der Arbeitsförderung werden generell auf Antrag erbracht. Alg gilt mit der persönlichen Arbeitslosmeldung als beantragt, wenn der Arbeitslose keine andere Erklärung abgibt (§ 323 Abs. 1 Satz 1 und 2). Für die Wirksamkeit der Arbeitslosmeldung ist die Vorlage des Personalausweises nicht Voraussetzung (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 21.6.2011, L 3 AL 236/11). Allerdings ist die Agentur für Arbeit gehalten, die Identität des Arbeitslosen zur Vermeidung von Leistungsmissbrauch anhand geeigneter Dokumente zu überprüfen. Hierfür können ggf. auch besondere technische Geräte eingesetzt werden, unter Umständen sogar Fingerabdruckscanner. Im Zuge der Digitalisierung werden auch andere Möglichkeiten eröffnet, die Identität elektronisch nachzuweisen ("Self-Identification"). Alg wird grundsätzlich nicht rückwirkend geleistet, es sei denn, ein Antrag konnte wegen fehlender Dienstbereitschaft der Agentur für Arbeit nicht gestellt werden (vgl. § 325 Abs. 2). Das Fehlen der Antragstellung als materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung hat zur Folge, dass die Ausübung der Dispositionsbefugnis über den Beginn der Auszahlung von Alg das Stammrecht nicht berührt. Ebenso wirkt es sich nicht auf den Anspruch aus, wenn die Antragsunterlagen mit zeitlicher Verzögerung zurückgegeben werden. Nachteile muss der Arbeitnehmer allerdings nach Maßgabe der §§ 60 ff. SGB I in Kauf nehmen, wenn er seinen Mitwirkungspflichten trotz schriftlicher Rechtsfolgenbelehrung nicht nachkommt. Im Übrigen ist die Erlöschensfrist von 4 Jahren (§ 161 Abs. 2) zu beachten, nach deren Ablauf ein bestehender Anspruch auf Alg nicht mehr geltend gemacht werden kann.
Rz. 3a
Wird Alg als vorrangige Leistung nachträglich gewährt, so tritt aufgrund zuvor gezahlter Leistungen durch den nachrangig verpflichteten Leistungsträger nach dem SGB II Erfüllungsfiktion nach § 107 SGB X nur ein, soweit Personenidentität der Leistungsempfänger besteht (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 29.11.2012, L 16 AL 329/11), denn im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende werden Leistungen zum Lebensunterhalt bei Bedürftigkeit an Bedarfsgemeinschaften (§ 7 SGB II) geleistet. Zur Überwindung der Personenidentität bedarf es einer gesetzlichen Regelung (vgl. BSG, Urteil v. 12.5.2011, B 11 AL 24/10 R). Fallen die maßgebenden Rechtsfolgen in die Zeit ab 1.8.2006, ist durch § 34a a. F. die Regelung anzuwenden gewesen, dass abweichend vom Grundsatz der Personenidentität Aufwendungen auch für den Ehegatten, Lebenspartner und Kinder unter 25 Jahren des Leistungsberechtigten geltend gemacht werden konnten. Vom 1.1.2011 bis 31.7.2016 galt diese Regelung als § 34b unverändert fort. Seit dem 1.8.2016 vgl. nunmehr § 34c, mit dem alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft von einem Erstattungsanspruch erfasst werden.
Rz. 4
Durch Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen nach Abs. 1 erwirbt der Versicherte das Stammrecht auf Alg. Das bedeutet zunächst, dass die vermeintlich erworbene Anwartschaft in eine gefestigte Rechtsposition überführt wird. Ausreichende Versicherungspflichtzeiten, mit denen die Anwartschaftszeit erfüllt ist, verlieren durch Zeitablauf ihre Wirkung, weil sie aus der Rahmenfrist herausgleiten. Ist das Stammrecht erworben, kann dies nicht mehr geschehen. Ein Verlust des Stammrechts tritt nur noch durch Verbrauch bei Zahlbarmachung des Leistungsanspruches oder aufgrund spezieller gesetzlicher Regelungen (§ 148) und Erlöschen (§ 161) des Anspruchs ein. Das Stammrecht auf Alg ist verfassungsrechtlich wie Eigentum (Art. 14 GG) geschützt. Leistungen aus dem Stammrecht können allerdings nur begehrt werden, soweit die Voraussetzungen zur Erfüllung des Zahlungsanspruches erfüllt sind, also z. B. der Antrag gestellt wurde, der Anspruch auf die Leistung nicht ruht und auch nicht versagt oder entzogen worden ist.
Rz. 4a
Hat die Agentur für Arbeit das Alg für die gesamte Anspruchsdauer auf Alg erbracht und wird sie durch ein sozialgerichtliches Urteil zur Leistung von Alg mit einem früheren Beginndatum verpflichtet, kommt lediglich eine Rücknahme der Bewilligungsentscheidung für den letzten Abschnitt der geleisteten Zahlungen in Betracht (§ 45 SGB X). Bösgläubigkeit des Leistungsempfängers liegt nicht schon deshalb vor, weil er von Anfang an die Auffassung vertreten hatte, ihm steht Alg ab einem früheren Zeitpunkt zu (SG Land...