Rz. 740
Die Agentur für Arbeit hat jedenfalls den grundsätzlichen gesetzlichen Auftrag, den relevanten Sachverhalt zu ermitteln und festzustellen, ob eine Sperrzeit eingetreten ist. Arbeitsgerichtliche Entscheidungen oder arbeitsgerichtliche Vergleiche entfalten im sozialgerichtlichen Verfahren keine Bindungswirkung. Die Sozialgerichte müssen daher von Amts wegen selbst prüfen, ob der Arbeitnehmer z. B. durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten gem. Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Anlass für eine Kündigung gegeben hat. Es ist z. B. unbeachtlich, dass eine verhaltensbedingte Kündigung vor dem Arbeitsgericht vergleichsweise in eine betriebsbedingte Kündigung umbenannt wird, wenn tatsächlich ein arbeitsvertragswidriges Verhalten vorgelegen hat (BSG, Urteile v. 15.12.2005, B 7a AL 46/05 R; v. 3.6.2004, B 11 AL 71/03 R; v. 6.3.2003, B 11 AL 69/02 R; nochmals bestätigt durch Beschluss v. 27.4.2011, B 11 AL 11/11 R). Dies gilt auch bereits für die Agenturen für Arbeit im Verwaltungs- und Vorverfahren. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitslosen ein wichtiger Grund für sein versicherungswidriges Verhalten zur Seite steht, ist zu berücksichtigen, dass es dem Arbeitslosen nach Abs. 1 Satz 3 obliegt, die für die Beurteilung des wichtigen Grundes maßgebenden Tatsachen darzulegen und nachzuweisen, die in seiner Sphäre oder seinem Verantwortungsbereich liegen. Ob eine Sperrzeit für den Arbeitslosen eine besondere Härte bedeuten würde, ist allein im Rahmen und nach Maßgabe des Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b festzustellen.
Rz. 741
Dem Arbeitslosen muss die Agentur für Arbeit in jedem Fall Gelegenheit zur Stellungnahme i. S. v. § 24 SGB X geben, bevor sie über den Eintritt einer Sperrzeit entscheidet. Es ist zudem jeweils zu prüfen, ob Experten in die Entscheidungsfindung einzubeziehen sind. So sehen die Agenturen für Arbeit richtigerweise vor, dass dem Arbeitslosen je nach Vortrag spezielle Gesprächspartner angeboten werden, etwa mit der Beauftragten für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt oder speziell dafür eingesetzte Beschäftigte, z. B. bei beklagter sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Fragen zum Leistungsvermögen bedingen ggf. die Einschaltung des Ärztlichen Dienstes oder des Betriebspsychologischen Services der Agentur für Arbeit zur Erstellung eines Ärztlichen oder Psychologischen Gutachtens. Nach den für die Agenturen für Arbeit geltenden Verwaltungsvorschriften ist gerade auch bei behaupteter alkoholbedingten Erkrankung ein Ärztliches Gutachten einzuholen. Eine immer größere Rolle spielen – wie in der Arbeitswelt insgesamt auch – die Beendigungen von Beschäftigungsverhältnissen aufgrund psychischer Belastungen und vergleichbarer Sachverhalte.
Rz. 742
Die Agenturen für Arbeit können auf eine weitere Sachverhaltsermittlung verzichten, wenn
- der Arbeitgeber für eine rechtmäßige arbeitgeberseitige Kündigung mit einer Abfindung im Rahmen des § 1a KSchG betriebsbedingte Gründe angegeben hat,
- der Arbeitgeber für eine rechtmäßige arbeitgeberseitige Kündigung mit einer über § 1a KSchG hinausgehenden Abfindung aus einem Sozialplan bzw. Interessenausgleich betriebsbedingte Gründe angegeben hat,
- der Arbeitslose sexuelle Belästigung oder Mobbing vorgetragen hat und eine weitere Ermittlung beim Arbeitgeber nicht zielführend erscheint (weil z. B. dieser direkt beschuldigt wurde),
- der Arbeitslose aufgrund seines Vortrages und beigefügter qualifizierter Unterlagen vom behandelnden Arzt zweifelsfrei auf dessen ernstlichen Rat hin die Arbeit aufgegeben hat.
Rz. 743
Umgekehrt kann auf eine weitere Sachverhaltsaufklärung bzw. Stellungnahme des Arbeitslosen grundsätzlich nicht verzichtet werden, wenn noch erfolgversprechende Ermittlungsmöglichkeiten zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes vorhanden sind, insbesondere, wenn in der Arbeitsbescheinigung lediglich angegeben wurde, dass der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses ein arbeitsvertragswidriges Verhalten des Arbeitslosen zugrunde lag, ohne dieses näher auszuführen.
Rz. 744
Bei Sperrzeitsachverhalten über Eigenbemühungen liegt der Entscheidung der Agentur für Arbeit jeweils ein Vordruck zugrunde, mit dem der Arbeitslose nach den für die Agenturen für Arbeit geltenden Verwaltungsvorschriften zum Nachweis seiner Eigenbemühungen aufgefordert wurde. Hat der Arbeitslose keinerlei Nachweis über Eigenbemühungen vorgelegt, ist das Vorliegen von Arbeitslosigkeit und damit eines (weiteren) Leistungsanspruches insgesamt zweifelhaft (vgl. § 138 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4). Daher sind die Agenturen für Arbeit angewiesen, in diesen Fällen eine vorläufige Zahlungseinstellung zu veranlassen, um den zugrunde liegenden Sachverhalt aufzuklären (vgl. § 331). Die Entscheidung über den Eintritt einer Sperrzeit ist ggf. später nachzuholen.
Rz. 745
Bei Sperrzeitsachverhalten über Meldeversäumnisse muss die Agentur für Arbeit jeweils aufklären, ob der Arbeitslose einen wichtigen Grund dafür hatte, zum Meldetermin bei der Agentur für Arbeit nicht zu erscheinen. Dabei ist die Beweislastverteilung nach Abs. 1 Satz 3 zu beach...