Rz. 27
In Abweichung des in Abs. 1 Satz 1 normierten Vereinbarungsvorbehalts kann eine Leistung auch durch einen Leistungserbringer, mit dem keine schriftliche Vereinbarung geschlossen wurde, erbracht werden. Im Wesentlichen übernimmt der Gesetzgeber die bisherige Bestimmung des § 75 Abs. 4 SGB XII (i. d. F. bis zum 31.12.2019). Voraussetzung für die Bewilligung ist eine Besonderheit des Einzelfalles (Abs. 5 Satz 1 Nr. 1). Diese liegt nur vor, wenn die Deckung eines anderweitig nicht zu befriedigenden Bedarfs des Leistungsberechtigten nur auf diesem Weg sichergestellt werden kann. Als Ausnahmeregelung zum Vereinbarungsprinzip des Abs. 1 ist diese Öffnungsklausel restriktiv zu handhaben.
Vor einer Kostenübernahme nach Abs. 5 ist festzustellen, dass der Bedarf des Leistungsberechtigten besteht und nicht durch einen vereinbarungsgebundenen Leistungserbringer gedeckt werden kann (objektive Unmöglichkeit) oder die Inanspruchnahme der Leistungen eines vereinbarungsgebundenen Leistungserbringers dem Hilfebedürftigen nicht zumutbar ist (subjektive Unmöglichkeit); vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 30.4.2014, L 7 SO 3423/10, Rz. 39, ZFSH/SGB 2014 S. 424.
Die Zum Teil in Literatur (vgl. Flint, in: Grube/Wahrendorf/Flint, 5. Aufl. 2014, SGB XII, § 75 Rz. 45; Neumann, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 75 Rz. 40) und Rechtsprechung (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 30.4.2014, L 7 SO 3423/10, Rz. 39, ZFSH/SGB 2014 S. 424) vertretene Unbeachtlichkeit des Wunsch- und Wahlrechts ist nach dem Erlass des BTHG zu relativieren. Richtig bleibt, dass der bloße Wunsch, von einem vereinbarungsungebundenen Leistungserbringer betreut zu werden, noch keine "Besonderheit des Einzelfalles" ist. Aber die Feststellung der bedarfsgerechten Leistungserbringung erfolgt auf der individuellen ebene regelmäßig im Gesamtplanverfahren nach §§ 117 ff., wobei die Wünsche des Leistungsberechtigten unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten gemäß § 104 zu beachten sind.
Die Öffnungsklausel des Abs. 5 findet grundsätzlich keine Anwendung, solange der Leistungserbringer mit dem Träger der Eingliederungshilfe über den Abschluss (neuer) Vereinbarungen nach § 126 verhandelt (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 24.5.2007, L 8 SO 156/06, Rz. 57, ZFSH/SGB 2007 S. 607; zur Gefahr und möglicher Interessenkonstellationen eines Unterlaufens der Vertragsregelungen durch Anwendung der Öffnungsklausel des Abs. 5 vgl. ausführlich: Neumann, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 75 Rz. 41a ff.).
Rz. 28
Wie bisher schon im Vertragsrecht der Sozialhilfe nach dem Zehnten Kapitel SGB XII (i. d. F. bis 31.1.2019) darf der Leistungserbringer nicht bessergestellt werden als ein Leistungserbringer, der eine Vereinbarung mit dem Träger der Eingliederungshilfe geschlossen hat (vgl. Begründung Regierungsentwurf BTHG, BR-Drs. 428/16 S. 299). Es soll sichergestellt werden, dass ein Leistungserbringer, der sich mit dem Träger der Eingliederungshilfe – gleich aus welchen Gründen – nicht einigen konnte, die Regelungen des Vertragsrechts nicht unterläuft (vgl. Flint, in: Grube/Wahrendorf/Flint, 5. Aufl. 2014, SGB XII, § 75 Rz. 45; Freudenberg, in: Jung, SGB XII, § 75 Rz. 63).
Der Leistungserbringer hat daher in diesen Fällen ein schriftliches Leistungsangebot vorzulegen, das den Vorgaben des § 125 entspricht (Abs. 5 Satz 1 Nr. 2). Darüber hinaus hat sich der Leistungserbringer zu verpflichten, die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungserbringung zu erfüllen (Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 gemäß Abs. 1 Satz 4), wobei nach Auffassung der Bundesregierung auch die Wirksamkeit der Maßnahme mitumfasst ist (vgl. Gegenäußerung der Bundesregierung zur BR-Stellungnahme zum Entwurf eines BTHG, BR-Drs 18/9954 S. 115 – Ablehnung die Worte "einschließlich der Wirksamkeit" einzufügen).
Ebenso wie die Leistungserbringer, mit denen eine Vereinbarung geschlossen wurde, hat der vertragslose Leistungserbringer sich zu verpflichten bei der Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe auch die Inhalte des Gesamtplanes nach § 121 zu beachten (Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 gemäß Abs. 4 Satz 1). Die Vergütung darf darüber hinaus nicht höher sein als die Vergütung, die der Träger der Eingliederungshilfe mit anderen Leistungserbringern für vergleichbare Leistungen vereinbart hat (Abs. 5 Satz 1 Nr. 5). Im Übrigen finden die Vorschriften zur Geeignetheit der Leistungserbringer (§ 124), zum Inhalt der Vergütung (§ 125), zur Verbindlichkeit der vereinbarten Vergütung (§ 127), zur Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfung (§ 128), zur Kürzung der Vergütung (§ 129) und zur außerordentlichen Kündigung der Vereinbarung (§ 130) entsprechende Anwendung (Abs. 5 Satz 2).
Die Feststellungen der Tatbestände in Abs. 5 unterliegen der uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle (vgl. Flint, in: Grube/Wahrendorf/Flint, 5. Aufl. 2014, SGB XII § 75 Rz. 44). Auf der Rechtsfolgenseite eröffnet Abs. 5 dem Träger der Eingliederungshilfe formal Ermessen ("darf die Leistungen … nur erbringen"). Allerdings ist schon dem Wortlaut eine bestimmte ...