0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Mit Inkrafttreten des Art. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) v. 23.12.2016 (BGBl. I 3234) zum 1.1.2018 wird der bisherige § 141 zu § 223. Mit Art. 1 BTHG ist ein Abs. 2 neu angefügt worden. In Abs. 1 entspricht die Vorschrift dem bisherigen § 141.
Durch Art. 7 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen sowie zur landesrechtlichen Bestimmung der Träger von Leistungen für Bildung und Teilhabe in der Sozialhilfe (Teilhabestärkungsgesetz) v. 2.6.2021 (BGBl. I S. 1367) wurde Abs. 1 mit Wirkung zum 10.6.2021 (Art. 14 Abs. 2 des Gesetzes) geändert.
1 Allgemeines
Rz. 1a
Die Vorschrift bestimmt, dass Aufträge der öffentlichen Hand, die auch von Werkstätten für behinderte Menschen ausgeführt werden können, bevorzugt diesen Einrichtungen anzubieten sind. Aufgrund des mit Art. 1 BTHG zum 1.1.2018 neu angefügten Abs. 2 besteht ab 1.1.2018 nun die Möglichkeit, auch Inklusionsbetriebe (§ 215) bei der Vergabe von Aufträgen der öffentlichen Hand bevorzugt zu berücksichtigen.
2 Rechtspraxis
Rz. 2
Die Regelung stellt eine besondere Verpflichtung aller öffentlichen Auftraggeber fest, also nicht nur des Bundes, sondern auch der Länder, Gemeinden, Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts. Sie soll – ebenso wie die Möglichkeit der Anrechnung von Aufträgen an Werkstätten auf die Ausgleichsabgabe – die Beschäftigung behinderter Menschen in den Werkstätten sichern helfen.
Rz. 3
Regelungen für die Vergabe öffentlicher Aufträge durch Auftraggeber des Bundes hat das Bundesministerium für Wirtschaft im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung auf der Grundlage des § 56 Abs. 2 SchwbG erlassen. Diese allgemeinen Richtlinien bleiben bis zum Erlass der allgemeinen Verwaltungsvorschriften gem. Satz 2 gültig (vgl. § 241 Abs. 3). Solche sind erforderlich, da die Verpflichtung zur bevorzugten Vergabe von Aufträgen an Werkstätten für behinderte Menschen nicht nur für Auftraggeber des Bundes, sondern alle öffentlichen Auftraggeber gelten soll. Das Bundesministerium für Wirtschaft konnte die allgemeinen Richtlinien aber nur mit Bindungswirkung für den Bund erlassen.
Rz. 4
Satz 2 sieht vor, dass die allgemeinen Verwaltungsvorschriften durch die Bundesregierung zu erlassen sind, die wegen der beabsichtigten Bindungswirkung auch für die Auftraggeber in den Ländern und Gemeinden der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Die Verwaltungsvorschriften stellen dann sicher, dass bei der bevorzugten Vergabe von öffentlichen Aufträgen an anerkannte Werkstätten für behinderte Menschen durch Behörden des Bundes und der Länder einheitlich verfahren wird.
Rz. 4a
Durch Art. 7 des Teilhabestärkungsgesetzes v. 2.6.2021 wurde Abs. 1 mit Wirkung zum 10.6.2021 geändert. Die Änderung wurde im Gesetzgebungsverfahren vorgenommen (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BT-Drs. 19/28834, zu Art. 7 Nr. 22a). Die Änderung in Satz 1 trägt der Tatsache Rechnung, dass die nach § 56 des Schwerbehindertengesetzes erlassenen allgemeinen Richtlinien neben der Verpflichtung, Aufträge an Werkstätten für behinderte Menschen bevorzugt anzubieten, auch Regelungen zur Bevorzugung beim Zuschlag und den Zuschlagskriterien vorsehen. Durch die Änderung in Satz 1 ist nun geregelt worden, dass diese Bevorzugung auch nach den nach dieser Vorschrift noch zu erlassenden Verwaltungsvorschriften möglich ist. Die Neufassung des Satzes 2 ist lediglich eine Folgeänderung zur Erweiterung des Satzes 1.
Rz. 5
Aufgrund des mit Art. 1 BTHG zum 1.1.2018 neu angefügten Abs. 2 besteht ab 1.1.2018 nun die Möglichkeit, auch Inklusionsbetriebe (§ 215) bei der Vergabe von Aufträgen der öffentlichen Hand bevorzugt zu berücksichtigen. Die Richtlinie zur Reform des Vergaberechts auf Europäischer Ebene ermöglicht, dass ein öffentlicher Auftraggeber Aufträge sozialen Unternehmen vorbehalten kann. Voraussetzung hierfür ist ein Beschäftigungsanteil von 30 % der Zielgruppe sozial benachteiligter Menschen unter den Beschäftigten. Zu sozialen Unternehmen gehören nach den Richtlinien des Europäischen Vergaberechts ausdrücklich Wirtschaftsunternehmen, deren Hauptzweck die Integration von Menschen mit Behinderungen ist. Diese Anforderungen erfüllen Inklusionsbetriebe, nachdem in § 215 Abs. 3 der Mindestbeschäftigtenanteil schwerbehinderter Menschen für die Anerkennung als Inklusionsbetrieb von 25 auf 30 % angehoben worden ist.