Rz. 3
Ziel der Beratung ist es, Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohte Menschen sowie ihre Angehörigen dabei zu unterstützen, ihre Rechte auf Chancengleichheit, Selbstbestimmung, eigenständige Lebensplanung und individuelle Teilhabeleistungen verwirklichen zu können (BT-Drs. 19/13399 S. 20). Durch das BTHG wurde das SGB IX unter anderem gestrafft und neu strukturiert. Neben neuen Leistungsgruppen wie z. B. "Teilhabe an Bildung" und "Leistungen zur sozialen Teilhabe" besitzt der Leistungskatalog nun eine deutlich verbesserte Transparenz. Dennoch besteht aufgrund der zahlreichen individuellen Leistungen ein erhöhter Beratungsbedarf. Diesen soll die ergänzende trägerunabhängige Teilhabeberatung sicherstellen. Ihr Inhalt erstreckt sich damit hauptsächlich auf die Leistungen nach dem SGB IX und soll im Vorfeld der Beantragung erfolgen. Der Hinweis auf weitere Beratungsstellen, wie z. B. nach § 29 Abs. 1 SGB III (Arbeitsmarktberatung), § 30 SGB III (Berufsberatung) oder § 7a SGB XI (Pflegeberatung), ist nicht ausgeschlossen. Oft muss zunächst gemeinsam mit den Ratsuchenden der Sachverhalt erst aufbereitet werden, um mögliche Teilhabeziele zu identifizieren (BT-Drs. 19/13399 S. 20). Die praktische Herausforderung besteht darin, nicht als bloße "Verweisberatung", sondern als unabhängige erste Anlaufstelle, Bedarfsermittler und Orientierungsgeber im örtlichen sozialen Raum aufzutreten und wahrgenommen zu werden.
Rz. 4
Die Beratung steht ergänzend neben der nach § 14 SGB I, welche die Rehabilitationsträger zu erbringen haben. Sie darf nicht im Widerspruch zur gesetzlichen Beratungs- und Unterstützungspflicht der Rehabilitationsträger stehen und hat unabhängig zu erfolgen (BT-Drs. 18/9522 S. 245). Die Rehabilitationsträger werden nach § 32 Abs. 2 Satz 2 verpflichtet, auf dieses ergänzende Angebot hinzuweisen. Eine unabhängige Beratung erfolgt regelmäßig nur dann, wenn keine finanziellen Interessen der Leistungsträger oder Leistungserbringer betroffen sind. Um diese zu gewährleisten, soll durch geeignete Offenlegung möglicher finanzieller und organisatorischer Abhängigkeiten der beratenden Institutionen Transparenz herbeigeführt und zugleich Interessenskonflikten entgegengewirkt werden.
Rz. 5
Die ergänzende Teilhabeberatung soll niedrigschwellig erfolgen. Niedrigschwelligkeit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Menschen einen einfachen, schnellen, zeit- sowie ortsnahen Überblick zu grundsätzlich infrage kommenden Teilhabeleistungen sowie zur Zuständigkeit der Leistungsträger erhalten. Dabei geht es in erster Linie noch nicht um die Beantragung der "richtigen" Leistung, sondern darum, was "das Beste" für den Menschen in seiner aktuellen Situation ist. Der Gedanke des "peer counseling" steht dabei im Vordergrund. Hinzu kommt, dass die Beratung, unabhängig ob schriftlich oder mündlich, in "leichter Sprache" erfolgen soll.
Der Gesetzgeber hat bewusst darauf verzichtet, die Teilhabeberatung als Rechtsanspruch auszugestalten, um ihr dadurch ihre Niedrigschwelligkeit nicht zu nehmen (BT-Drs. 18/9522 S. 245). In der Folge besteht auch kein Anspruch auf Schadensersatz, wie bei einer fehlerhaften Beratung des Rehabilitationsträgers (Kohte, in: Feldes/Kohte, SGB IX, § 32 Rz. 10 m. w. N.). Im Gegenzug ist für das Gelingen des Angebotes eine intensive Nachhaltung durch den Bund erforderlich, damit diese unabhängigen ergänzenden Beratungsangebote auch bundesweit zur Verfügung gestellt werden. Durch die Entfristung, Aufstockung der Mittel und Einführung der Rechtsverordnungskompetenz für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kommt der Bund diesem Auftrag nach.
Rz. 6
Die ergänzende Teilhabeberatung gibt keine Unterstützung bei Widersprüchen oder sozialgerichtlichen Verfahren und versteht sich ganz bewusst nicht als Rechtsberatung (BT-Dr. 18/9522 S. 246).