Rz. 3
Die durch Satz 1 nunmehr gesetzlich geregelte Prozessstandschaft hat zum Inhalt, dass Verbände im eigenen Namen die Rechte behinderter Menschen im gerichtlichen Streitverfahren geltend machen können. Dies umfasst alle Streitgegenstände nach dem SGB IX über die Gerichte zu entscheiden haben, mithin Streitverfahren vor den Gerichten der Arbeits-, Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit. Es handelt sich dabei um eine sog. gesetzliche Prozessstandschaft, die nach § 42 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ausdrücklich für das verwaltungsgerichtliche Streitverfahren als zulässig anerkannt ist (s. auch Kopp/ Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung 2000, vor § 40 Rz. 24). Danach ist die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Eine solche gesetzliche Bestimmung trifft nunmehr § 85. Mit der damit einhergehenden Einführung einer gesetzlichen Klagebefugnis werden die Rechte der Verbände, die behinderte Menschen vertreten, im gerichtlichen Verfahren erheblich gestärkt. Zugleich wird dem in der Praxis vielfach bemängelten Umstand begegnet, dass eine sog. gewillkürte Prozessstandschaft der Verbände im Verwaltungsprozess wie auch im Sozialgerichtsprozess ausgeschlossen oder stark eingeschränkt ist. So wird sie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch für allgemeine Leistungsklagen abgelehnt (vgl. Kopp/ Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung 2000, vor § 40 Rz. 25 f). Ihr Ausschluss ergibt sich für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen bereits aus dem Gesetz. Auch im sozialgerichtlichen Verfahren ist nach § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG nur die Verfolgung eigener Rechte im Wege der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Auch hier wird durch § 63 diese Bestimmung geschaffen. Für die Zulässigkeit einer gewillkürten Prozessstandschaft setzt das Bundessozialgericht (BSG) ein eigenes Rechtsschutzinteresse des Dritten voraus (BSG, SozR 54 § 59 SGG; BSGE 10 S. 134; BSGE 37 S. 35). Hieran fehlt es regelmäßig, wenn eine Verletzung der Rechte eines Einzelnen im Rechtsweg beanstandet wird.
Rz. 4
Die gegen das Klagerecht der Verbände im Gesetzgebungsverfahren zum SGB IX 2001 durch den Deutschen Anwaltverein vorgebrachte Kritik an einer dadurch intendierten extremen Bevormundung des behinderten Menschen durch Verbände, die keinerlei Qualifikation bzw. Qualitätsstandards nachweisen müssten, und damit einhergehend an einer Verletzung der Grundrechte der betroffenen Behinderten durch die Regelung ist vor dem Hintergrund der ohnehin bereits nach dem SGG möglichen Prozessstandschaft in anderen Fällen – z. B. bei Klagen des Arbeitgebers wegen Kurzarbeitergeldes oder Schlechtwettergeldes (vgl. hierzu Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz 1998; § 54 Rz. 11 m. w. N.) – nicht gerechtfertigt. Behinderte Menschen genießen keinen geringeren Schutz als andere Personen, deren Rechte im Wege der Prozessstandschaft geltend gemacht werden können. Im Übrigen sind sie oft, insbesondere wenn Verwandte oder Ehegatten, bei denen die Bevollmächtigung im sozialgerichtlichen Verfahren unterstellt wird (§ 73 Abs. 2 Satz 2 SGG), nicht oder unzulänglich als Beistand (§ 67 Abs. 2 VwGO) ihre Interessen vertreten können, durch Behindertenverbände bereits im Vorverfahren betreut und beraten. Die gerichtliche Geltendmachung ihrer Rechte im Namen des betreuenden Verbandes erleichtert vielfach dem ängstlichen Kläger den Zugang zum Rechtsschutz, insbesondere wenn er gerade deshalb oftmals den Weg zu einem Prozessbevollmächtigten scheuen würde.
Rz. 5
Ohne das Einverständnis des betroffenen behinderten Menschen wird ein Verband nach § 85 ohnedies keine Klage erheben dürfen. Dieses Einverständnis wird daher im Klageschriftsatz zweifelsfrei darzulegen und spätestens auf Anforderung des Gerichts beizubringen sein. Hinzu kommt, dass das Kostenrisiko nach §§ 193 SGG, 161 VwGO nicht der behinderte Mensch selbst, sondern der klagende Verband als Prozessbeteiligter trägt. Dies dürfte einer unbedachten oder gar missbräuchlichen Ausübung des neuen Klagerechts durch nicht qualifizierte Dritte entgegenstehen.
Rz. 6
Andererseits ist eine Beiladung des einzelnen behinderten Menschen zum Verfahren zur Erstreckung der Rechtskraft der Entscheidung des Gerichts auf ihn nicht erforderlich, wenn der Verband seine Vertretung treuhänderisch im Wege der Prozessstandschaft wahrgenommen hat (vgl. BSG, Urteil v. 14.12.2000; B 3 P 19/00 R).
Rz. 7
Das Erfordernis einer demokratischen Legitimation und internen Verfasstheit der ermächtigten Verbände hat die Vorschrift des § 85 insoweit berücksichtigt, als sie als weitere Voraussetzungen der Ausübung der Prozessstandschaft vorschreibt, dass der Verband nach seiner Satzung behinderte Menschen auf Bundesebene oder zumindest auf Landesebene vertreten darf. Ein Klagerecht nicht verfasster kleiner örtlicher Grupp...