1.1. Wesen der medizinischen Rehabilitation
Rz. 2
Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation stützen sich inhaltlich auf rehabilitationswissenschaftliche Erkenntnisse und werden durch folgende Prinzipien geprägt:
Finalität:
Die Rehabilitationsleistungen werden so lange erbracht, bis konkret die Eingliederung/Wiedereingliederung in Arbeit, Beruf und Gesellschaft vollzogen ist.
Komplexität:
In das Rehabilitationsgeschehen wird nicht nur die Behinderung als solche, sondern der behinderte bzw. von Behinderung bedrohte Mensch in seiner Gesamtheit mit seinen unterschiedlichen Facetten, seinem individuellem Lebenshintergrund und Teilhabebedarf einbezogen.
Interdisziplinarität:
Unterschiedliche, verschiedene wissenschaftliche Disziplinen – z. B. Pädagogik, Strahlentherapie und Psychologie – arbeiten an einem Thema und nutzen die Ergebnisse der anderen weiter.
Multimodalität:
"Heil-Personal" mit unterschiedlichen Disziplinen – auch Professionen genannt – arbeitet in unterschiedlichen Arten und Weisen
Individualität:
Die Rehabilitationsleistungen werden nach dem individuellen Rehabilitationsbedarf ausgerichtet.
Konzeptionelle und begriffliche Grundlage der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sind
- die Rahmenempfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR, vgl. auch § 4 Abs. 2 des Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über Leistungen zur medizinischen Rehabilitation – Rehabilitations-Richtlinie – und
- die indikationsbezogenen Arbeitshilfen.
Einzelheiten sind den unter Rz. 24 aufgeführten Hinweisen (Fundstellen) zu entnehmen.
1.2 Ziele der medizinischen Rehabilitation (Abs. 1)
Rz. 3
§ 42 Abs. 1 zählt auf, welche Ziele konkret mit den medizinischen Rehabilitationsleistungen in Abgrenzung
- zu den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und an Bildung und
- zu den Leistungen zur sozialen Teilhabe
beabsichtigt sind.
Im Vordergrund der medizinischen Rehabilitationsleistungen steht die positive Beeinflussung
- der Behinderung (Begriffsdefinition: vgl. § 2 Abs. 1) einschließlich chronischer Krankheiten,
- der Pflegebedürftigkeit (Begriffsdefinition: vgl. § 14 SGB XI) und/oder
- der Erwerbsfähigkeit (vgl. § 10 SGB VI; Erwerbsfähigkeit ist die Fähigkeit des Versicherten, seinen bisherigen Beruf oder seine bisherige Tätigkeit weiter ausüben und damit seinen Lebensunterhalt verdienen zu können. Es sind nicht die Kriterien anwendbar, die für die Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen für eine Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit (Erwerbsminderung) maßgebend sind (BSG, Urteil v. 29.3.2006, B 13 RJ 37/05 R).
Aus medizinischer Sicht zielen medizinische Leistungen zur Rehabilitation darauf ab,
- die gesundheitsbedingte Abhängigkeit von fremder Hilfe aufgrund von Funktions- und sonstigen Fähigkeitsstörungen bzw. Aktivitätseinschränkungen und Partizipationsstörungen auf das unumgängliche Ausmaß zu beschränken (z. B. Erlernen neuer Techniken und Fähigkeiten, um ausgefallene bzw. beeinträchtigte Fähigkeiten wieder zu erlangen),
- die Entwicklung eigener Abwehr- und Heilungskräfte zu fördern (z. B. bei psychisch Erkrankten; vgl. auch BSG, Urteil v. 10.4.2008, B 3 KR 19/05 R, Rz. 35) und/oder
- eine dauerhafte unabhängige Lebensführung insbesondere bei den alltäglichen Verrichtungen des Betroffenen (u. a. Vermeidung von Pflegebedürftigkeit) zu ermöglichen.
Zu den alltäglichen Verrichtungen zählen neben der aktiven Teilhabe an Arbeit, Beruf, Bildung und Gesellschaft auch die Befriedigung von Grundbedürfnissen wie Fortbewegung, Kommunikation, selbstbestimmte Führung des eigenen Haushalts usw. Als Fortbewegungsziel kommt deshalb z. B. bei einem querschnittgelähmten Menschen die Verbesserung der Mobilität
- zur Erschließung der näheren und weiteren Umgebung,
- zur Wiederaufnahme schulischer und beruflicher Aktivitäten und
- zur Erschließung von Freizeitaktivitäten
in Betracht.
Daneben führt Abs. 1 als weiteres Ziel die Besserung der Gesundheit an, um laufende Sozialleistungen wie Pflegegeld, Renten, Übergangsgeld, Krankengeld, Versorgungskrankengeld und Verletztengeld zu vermeiden oder in ihrer Dauer bzw. Intensität zu mindern (z. B. Einstufung in eine niedrigere Pflegestufe).
Rz. 4
Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation können nur dann bewilligt werden, wenn das Rehabilitationsziel voraussichtlich nach Durchführung der geplanten Leistungen auch erreicht werden kann. Die Erreichung des Rehabilitationsziels ist im Einzelfall von bestimmten Faktoren abhängig, die sowohl bei Bewilligung als auch bei der Erbringung der Leistungen stets zu prüfen sind (vgl. § 9). Hierzu zählen
- die Prüfung der Rehabilitationsbedürftigkeit des behinderten bzw. von Behinderung bedrohten Menschen (Rz. 5),
- die Feststellung der Rehabilitationsfähigkeit (Rz. 6),
- die vorherige Definition von Rehabilitationszielen (Rz. 7),
- die Feststellung einer positiven Rehabilitationsprognose (Rz. 8),
- die notwendige Motivation des Leistungsberechtigten, der an der Rehabilitation aktiv mitwirken soll (vgl. §§ 63 f. SGB I), sowie
- die Prüfung der Zumutbarkeit der Rehabilitationsleistung aus Sicht des Leistungsberechtigten (Grenzen der Mitwirkung; vgl. § 65 SGB I).