Rz. 10d
Nach dem Urteil des BSG v. 16.6.2015 (B 13 R 12/14 R) hat die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK; vgl. Komm. zu § 2) den Rang eines einfachen Gesetzesrechts und bedarf der Umsetzung durch nationales Recht, soweit die Bestimmungen der Konvention nicht wegen ihres hohen Konkretisierungsgrades unmittelbar anwendbar – self-executing – sind. Letztes ist bei Art. 5 Abs. 2 UN-BRK der Fall (vgl. auch BSG, Urteil v. 6.3.2012, B 1 KR 10/11 R Rz. 29). Diese Vorschrift verbietet den Vertragsstaaten jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung und garantiert Menschen mit Behinderungen gleichen und wirksamen rechtlichen Schutz vor Diskriminierung, gleichviel aus welchen Gründen.
Mit seinen Vorschriften über medizinische Reha-Leistungen erfüllt Deutschland wesentliche Verpflichtungen, die es mit der Ratifizierung der UN-BRK eingegangen ist, und verhindert damit gerade eine Diskriminierung behinderter Menschen. Dies dient in hohem Maße dem Selbstwertgefühl, der finanziellen Unabhängigkeit und Selbständigkeit behinderter Menschen.
Nach Auffassung des Autors haben der Staat und seine Institutionen (auch Rehabilitationsträger) dafür zu sorgen, dass der behinderte Mensch keine gesundheitlichen Barrieren hat, die ihn daran hindern, z. B. am Leben in der Gemeinschaft/Gesellschaft wie ein gesunder Mensch teilzunehmen. Bestehen gesundheitliche Barrieren, wie z. B.
- fehlende Mobilität,
- dauernd notwendige Beaufsichtigung wegen plötzlicher, aber regelmäßig eintretender epileptischer Anfälle in der Schule notwendig,
- weiterer Teilhabebedarf bei einem nicht ausreichend ausgleichendem Hilfsmittel – vgl. hierzu Rz. 10b –,
- Förderungsbedarf wegen Entwicklungsstörungen wie Aggressivität, Angstzuständen und Zurückgezogenheit eines Vorschulkindes,
besteht ein ungedeckter Teilhabebedarf, den der "Staat" bzw. die Rehabilitationsträger im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Regelungen zu befriedigen haben. Aufgrund des zum 1.1.2018 in Kraft getretenen § 5 Nr. 4 sind die hierfür notwendigen Leistungen durch die Leistungsgruppe der "Leistungen zur Teilhabe an Bildung" abzubilden. Die Leistungen umfassen gemäß § 75 insbesondere
- Hilfen zur Schulbildung, insbesondere im Rahmen der Schulpflicht einschließlich der Vorbereitung hierzu,
- Hilfen zur schulischen Berufsausbildung,
- Hilfen zur Hochschulbildung und
- Hilfen zur schulischen und hochschulischen beruflichen Weiterbildung.
Ein Kind, welches im Alter von 5 Jahren einen epileptischen Anfall erlitt, wird im Alter von 6 Jahren eingeschult. Von dem behandelnden Arzt wird auf Wunsch der Eltern eine Bescheinigung ausgestellt, nach der während der Schulzeit eine strenge Beobachtung des Kindes notwendig ist, um mögliche weitere epileptische Situationen früher zu erkennen. Nach der Bescheinigung des Arztes sind entsprechende Anfälle im Bereich des Möglichen; es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass weitere Anfälle eintreten. Die Lehrerin weigert sich, das Kind in der Klasse aufzunehmen. Es wären 27 Erstklässler in der Klasse – und für sie wäre es unmöglich, Frühzeichen eines bevorstehenden Anfalls zu erkennen. Im Übrigen wäre ein epileptischer Anfall für alle Beteiligten ein Schock und würde vermutlich zu Kommunikationsstörungen (Kommunikationsvermeidung) mit dem betroffenen Kind führen. Die Schule und die Schulbehörde fordern jetzt eine Schulbegleitung (Schulassistenz) in Form einer Krankenschwester, die das Kind dauernd beaufsichtigt und frühzeitig entsprechende medizinische und sonstige Maßnahmen einleitet.
Folge:
Die Leistung "Schulassistenz" wird notwendig, damit das Kind die Schule besuchen kann. Deshalb ist die Leistungsgruppe "Leistungen zur Teilhabe an Bildung" angesprochen. Der hierfür zuständige Rehabilitationsträger (i. d. R. der Träger der Eingliederungshilfe, nicht dagegen die Krankenkasse; vgl. § 5 Nr. 4 i. V. m. § 6) ist leistungspflichtig.