Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt. Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. einstweiliger Rechtsschutz. keine Bindung an Antrag. Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung. Diabetes mellitus
Orientierungssatz
1. Die Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach den §§ 27ff SGB 12 stellt keinen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar. Nicht zu folgen ist dem rechtlichen Ansatz, die Bewilligung eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs 5 SGB 12 als einen begünstigenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung einzustufen, weil die Voraussetzungen für Leistungen der Grundsicherung bei voller Erwerbsminderung gem § 41 Abs 1 Nr 2 SGB 12 erfüllt sind und § 44 Abs 1 SGB 12 greifen zu lassen, wonach die Leistung in der Regel für 12 Kalendermonate bewilligt wird. Die Gewährung von Leistungen nach § 41 Abs 1 SGB 12 erfordert zwingend einen Antrag.
2. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 86b Abs 1 SGG wegen Versagung der weiteren Zahlung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung ist entsprechend § 123 SGG in einen solchen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs 2 SGG umzudeuten.
3. Im Rahmen der erforderlichen Glaubhaftmachung muss das Vorliegen eines tatsächlichen Bedarfs für eine kostenaufwändige Ernährung zum Zwecke der Besserung oder Linderung der Krankheitsfolgen bzw der Vermeidung der Verschlechterung des Gesundheitszustands substantiiert dargelegt werden. Ein abstrakter Mehrbedarf reicht nicht aus.
4. Über die Empfehlung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge eV hinaus ist mit dem Bundesverband Deutscher Ernährungsmediziner (BDEM) eV davon auszugehen, dass für alle Typen von Diabetes-mellitus-Erkrankungen die erforderliche Kost sich in ihrer Zusammensetzung nicht von der im Rahmen der Primärprävention für Gesunderhaltung empfohlenen Ernährungsweise unterscheidet.
5. Eine Diabetes orientierte kalorienreduzierte, fettarme und ballaststoffreiche Ernährung ggf unter Nutzung der auch in Discount-Ketten angebotenen speziell für Diabetiker geeigneten Nahrungsmitteln ist möglich, ohne dass ein finanzieller Mehraufwand nötig ist.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 27. Juni 2005 geändert.
Der Antrag der Antragsteller vom 2. Juni 2005 wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 14. Juli 2005 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 27. Juni 2005 im einstweiligen Rechtsschutzverfahren, in dem die Beteiligten über die Gewährung von Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung wegen Diabeteserkrankung streiten, ist zulässig (§§ 172 f. Sozialgerichtsgesetz - SGG); sie ist auch begründet.
Das Sozialgericht hat auf den Antrag der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 12. Mai 2005 anzuordnen, durch den u. a. für die Zeit ab Juni 2005 kein Mehrbedarf für - wie es im vorgenannten Bescheid heißt - Kostenaufwand Ernährung Stufe 1 für den Antragsteller zu 1) bewilligt worden ist, durch den angefochtenen Beschluss die Antragsgegnerin im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller zu 1) über den 31. Mai 2006 (offensichtlicher Schreibfehler - richtig: 2005) hinaus den Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von monatlich 51,13 € zu gewähren, längstens jedoch bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens hinsichtlich des Bescheides vom 12. Mai 2005, sofern nicht vorher die sofortige Vollstreckung desselben angeordnet werde. Das Sozialgericht hat seine Entscheidung gestützt auf § 86 b Abs. 1 Satz 2 SGG.
Diesen rechtlichen Ansatz hält der Senat nicht für zutreffend; es bedarf vielmehr einer Prüfung nach § 86 b Abs. 2 SGG. Im Rahmen der danach gebotenen summarischen Überprüfung spricht Überwiegendes dafür, dass dem Begehren der Antragsteller nicht entsprochen werden kann und demzufolge die erstinstanzliche Entscheidung abzuändern ist. Über den Wortlaut des von den Antragstellern gestellten Antrags hinaus ist deren Begehren, wie es sich aus der Antragsbegründung ergibt, gerichtet auf die Zahlung von Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung, wie sie bis einschließlich Mai 2005 seitens der Antragsgegnerin gewährt worden war, über diesen Zeitpunkt hinaus. Daher ist der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 86 b Abs. 1 SGG entsprechend § 123 SGG in einen solchen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG umzudeuten (vgl. Meyer-Ladewig, 8. Aufl. § 123 Rn. 3 b).
Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 ist - auch schon vor Klageerhebung - eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) gelten gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG entsprechend. Erforderlich für den Erlass einer einstw...