Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. fehlender Anordnungsgrund. keine existentielle Notlage. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Rückgriff auf Einstiegsgeld bei selbstständiger Tätigkeit und Verzicht auf Absetzung des Freibetrages bei Erwerbstätigkeit bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren
Leitsatz (amtlich)
Keine existentielle Notlage unter Berücksichtigung des Freibetrags für Erwerbstätigkeit und des Einstiegsgeldes.
Orientierungssatz
Zwar sollen grundsätzlich Leistungen nach dem SGB 2 das Existenzminimum der Antragsteller sichern. Wird durch die seitens des Grundsicherungsträgers erbrachte Leistung der Bedarf nicht gedeckt, ist die Existenz des Hilfebedürftigen zeitweise nicht sichergestellt. Allerdings führt nicht jede Unterdeckung des Bedarfs grundsätzlich zu einer Existenzbedrohung und damit zum Vorliegen eines Anordnungsgrundes. Erforderlich ist eine existentielle Notlage (vgl LSG Halle vom 24.3.2009 - L 5 AS 5/09 B ER).
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Itzehoe vom 21. Juli 2011 aufgehoben.
Der Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen - den Antragstellern - Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II), zu gewähren, wird abgelehnt.
Die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin ..., ..., bewilligt.
Gründe
I.
Mit Bescheid vom 26. Mai 2011, gerichtet an die Antragstellerin zu 1), wurde ihr Antrag auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II abgelehnt mit der Begründung, unter Berücksichtigung der prognostischen Einkommensverhältnisse des Antragstellers zu 2) sei die Antragstellerin zu 1) nicht bedürftig. Dagegen legte die Antragstellerin zu 1) am 8. Juni 2011 Widerspruch ein.
Ebenfalls am 8. Juni 2011 beantragten die Antragsteller zu 1) und 2) sinngemäß, ihnen Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen mit der Begründung, die lediglich aufgrund der Erklärung über die Einkommensentwicklung aus selbständiger Tätigkeit prognostischen Einkünfte des Antragstellers zu 2) stellten kein reales Einkommen dar und dürften somit nicht berücksichtigt werden. Aufgrund seiner Selbstständigkeit sei erst im November 2011 mit realem Gewinn zu rechnen.
Die der Prozessbevollmächtigten der Antragsteller erteilte Vollmacht ist von beiden Antragstellern unterzeichnet.
Mit Bescheid vom 9. Juni 2011 wurden den Antragstellern für den Zeitraum von Juni bis November 2011 Leistungen in Höhe von 232,01 EUR gewährt und zwar der Antragstellerin zu 1) 116,00 EUR und dem Antragsteller zu 2) 116,01 EUR. Dabei war für die Antragstellerin zu 1) ein Nettoerwerbseinkommen von monatlich 909,42 EUR berücksichtigt worden abzüglich eines Freibetrages von 214,33 EUR. Für den Antragsteller zu 2) war ein laufendes Einkommen aus Selbstständigkeit von 326,17 EUR berücksichtigt worden abzüglich eines Freibetrages für Erwerbstätigkeit von 115,23 EUR. Als Gesamteinkommen war für den Antragsteller zu 2) unter Berücksichtigung von 30,00 EUR Versicherungsleistungen ein Betrag von 180,94 EUR angerechnet worden.
Der Antragsteller zu 2) erhält Einstiegsgeld in Höhe von 197,40 € monatlich.
Mit Beschluss vom 21. Juli 2011 hat das Sozialgericht Itzehoe den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum vom 8. Juni bis zum 30. November 2011 ohne Anrechnung von Einkommen des Antragstellers zu 2) aus seiner selbstständigen Tätigkeit in Höhe von 180,94 EUR zu gewähren.
Dagegen hat der Antragsgegner am 26. Juli 2011 Beschwerde eingelegt. Er wendet sich dagegen, dass das Sozialgericht den Antragsteller zu 2) in das Rubrum mit aufgenommen hat und trägt vor, die Antragsteller hätten weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Unter Berücksichtigung der Freibeträge für Erwerbstätigkeit liege bei den Antragstellern keine existentielle Notlage vor, sodass eine Eilentscheidung nicht geboten sei. Außerdem gehe aus der Erklärung des Antragstellers zu 2) zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit hervor, dass er für den gesamten streitigen Zeitraum Einkommen erwirtschafte, das auf die einzelnen Monate dieses Zeitraums aufzuteilen sei.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Die Voraussetzungen des § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift können die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu ist gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) erforderlich, dass sowohl ein Anordnungsgrund, die Notwendigkeit einer Eilentscheidung zur Beheb...