Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe im Hauptsacheverfahren. Arbeitslosengeld II. Verfassungswidrigkeit der Neuermittlung der Regelbedarfe zum 1.1.2011. Mutwilligkeit der Fortsetzung der Rechtsverfolgung

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Beteiligter, der das Kostenrisiko eines Sozialgerichtsverfahrens im Hinblick auf die Anwaltsgebühren vernünftig abwägt, wird versuchen, sein Ziel höherer Leistungen wegen aus seiner Sicht verfassungswidrig zu niedrig festgelegter Regelbedarfe möglichst ohne Inanspruchnahme der Gerichte zu erreichen. Grundsätzlich ist es den Empfängern von Grundsicherungsleistungen, die die gesetzliche Festlegung des Regelsatzes seit der Neuregelung zum 1.1.2011 für verfassungswidrig halten, zuzumuten, ihr Verfahren im Widerspruchsverfahren nicht (weiter) zu betreiben, da diese Frage bereits in anderen Verfahren sowohl in der Revisionsinstanz als auch (inzwischen) beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist.

 

Orientierungssatz

Eine "andere Bestimmung" iS des § 172 Abs 1 SGG ist für Beschwerden gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe allein § 172 Abs 3 Nr 1 und 2 SGG. Für eine entsprechende Anwendung des § 127 Abs 2 S 2 Halbs 1 ZPO ist seit der Änderung zum 11.8.2010 kein Raum mehr.

 

Normenkette

ZPO § 114 S. 1, § 127 Abs. 2 S. 2 Halbs. 1, § 251 S. 1; SGG § 172 Abs. 1, 3 Nrn. 1-2, § 73a Abs. 1 S. 1, § 202; SGB X § 44 Abs. 1 S. 1; SGB II §§ 19-20, 40 Abs. 2 Nr. 1; SGB III § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts Itzehoe vom 28. November 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beschwerde betrifft die Versagung von Prozesskostenhilfe (PKH) in einem beim Sozialgericht anhängigen Hauptsacheverfahren, das die verfassungsrechtliche Bewertung der Regelbedarfe nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) seit dem 1. Januar 2011 zum Gegenstand hat.

Die Klägerin und ihre beiden 1994 geborenen Kinder beziehen Leistungen nach dem SGB II. Der Beklagte bewilligte den Klägern ursprünglich mit Bescheid vom 4. Oktober 2010 Leistungen für die Zeit vom 1. Oktober 2010 bis 30. April 2011 ausgehend von der zu diesem Zeitpunkt noch rechtsgültigen Regelbedarfleistung von 359,00 EUR (für die Klägerin zu 1)). Den dagegen erhobenen Widerspruch begründeten die anwaltlich vertretenen Kläger nicht, insbesondere machten sie weder die Verfassungswidrigkeit des Regelsatzes geltend noch baten sie um die Zurückstellung der Entscheidung über den Widerspruch im Hinblick auf die Klärung grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Fragen oder des Inkrafttreten des Gesetzes. Gegen den Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 2011 erhoben sie am 17. Februar 2011 Klage, die sie zunächst allein damit begründeten, der zugrunde gelegte Regelsatz von 359,00 EUR für die Klägerin zu 1) sei ab dem 1. Januar 2011 nach Maßgabe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - zitiert nach juris) zu niedrig.

Mit Änderungsbescheid vom 26. März 2011 bewilligte der Beklagte den Klägern höhere Leistungen für die Zeit vom 1. Januar 2011 bis 30. April 2011 ausgehend von einem Regelbedarf für die Klägerin zu 1) in Höhe von 364,00 EUR und einem Regelbedarf für die 1994 geborenen Kläger zu 2) und 3) in Höhe von je 287,00 EUR. Trotz mehrfacher Aufforderung erfolgte keine ergänzende Klagebegründung.

Das Sozialgericht Itzehoe hat mit Beschluss vom 8. November 2011 die Bewilligung von PKH mit der Begründung abgelehnt, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung mutwillig sei. Nach dem Inhalt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei auf jeden Fall sichergestellt gewesen, dass rückwirkend höhere Leistungen zum 1. Januar 2011 gewährt würden.

Gegen den ihnen am 5. Dezember 2011 zugestellten Beschluss richtet sich die am 5. Januar 2012 erhobene Beschwerde. In dieser begründen die Kläger die Klage in der Hauptsache nunmehr umfänglich im Hinblick auf die abstrakte Verfassungswidrigkeit des Regelbedarfes ab dem 1. Januar 2011. Sie beanspruchen in einem standardisierten Schriftsatz ohne Einzelfallbezug (etwa im Hinblick auf die inzwischen volljährigen Kinder) die Gewährung weiterer Leistungen unter Anerkennung höherer Regelbedarfe für die Zeit vom 1. Januar bis 30. April 2011 und beantragen zusätzlich, den Rechtsstreit nach Art. 100 Grundgesetz (GG) auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorzulegen, ob die §§ 20 Abs. 2 Satz 1, 23 Nr. 1, 77 Abs. 4 Nr. 3 SGB II sowie § 8 Abs. 1 Nr. 1 und 5 RBEG in der Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 2. Oktober 2010 verfassungswidrig sind. Sie führen im Einzelnen aus, dass die Regelbedarfsstufen in qualitativer und quantitativer Hinsicht fehlerhaft festgelegt seien, was sich insbesondere auf die Festlegung der Referenzgruppe beziehe. Außerdem sei die Einkommens- und Verbra...

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