Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. beigeordneter Rechtsanwalt. Dokumentenpauschale. Anfertigung von Kopien aus Behördenakten. Gebotenheit. anwaltlicher Ermessensspielraum. Beweislast
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Entscheidung, in welchem Umfang er Kopien aus behördlichen Akten fertigen will, hat der Rechtsanwalt einen großzügigen Ermessensspielraum.
2. Es ist dem Rechtsanwalt nicht zuzumuten, bereits bei Akteneinsichtnahme jede Seite vollständig zu lesen und insbesondere bei umfangreichen Akten, deren Vervielfältigung größtenteils geboten ist, diejenigen Schriftstücke einzeln zu identifizieren und auszusondern, die ausnahmsweise nicht zu vervielfältigen sind.
3. Für die Frage, ob der anwaltliche Ermessensspielraum überschritten ist, trifft grundsätzlich die Staatskasse die Beweislast.
Tenor
Die Beschwerde des Erinnerungsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 28. Januar 2020 wird zurückgewiesen.
Der Beschluss ergeht gebührenfrei. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Streitig ist die Höhe der Vergütung von Auslagen für gefertigte Fotokopien.
Der Erinnerungsführer wurde dem Kläger des Ausgangsverfahrens, der eine selbständige Tätigkeit im Bereich Einzelhandel mit Gebrauchtwaren ausübte und aufstockend Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bezog, in mehreren Klageverfahren, in denen es um die Höhe des Leistungsanspruchs für den Zeitraum 2007 bis 2010 ging, im Rahmen der Prozesskostenhilfe als Prozessbevollmächtigter beigeordnet.
Nur in einem dieser Verfahren machte er mit Festsetzungsantrag vom 4. Januar 2012 u.a. Auslagen für 1.574 gefertigte Fotokopien in Höhe 253,60 EUR (netto) geltend.
Mit Festsetzungsbeschluss vom 20. April 2012 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die Vergütung des Erinnerungsführers auf 464,10 EUR fest. Neben Absetzungen bei anderen Gebührentatbeständen, die zwischenzeitlich nicht mehr in Streit stehen, erfolgte auch eine Absetzung bei der Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 Vergütungsverzeichnis (VV) zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG). Diese wurde lediglich in Höhe von 10,00 EUR (= 20 Kopien) berücksichtigt. Nur in diesem Umfang könne - bei großzügiger Betrachtung - die Fertigung von Kopien als notwendig angesehen werden. Die Kosten der Ablichtung von Bescheiden, die dem Kläger vorliegen müssten, sowie von innerbehördlichen Vorgängen sei nicht erforderlich.
Der gegen diesen Beschluss erhobenen Erinnerung hat das Sozialgericht Lübeck mit Beschluss vom 28. Januar 2020 teilweise stattgegeben, die Vergütung des Erinnerungsführers auf 819,43 EUR festgesetzt und dabei u.a. gemäß Nr. 7000 VV RVG Kopierkosten in der beantragten Höhe von 253,60 EUR berücksichtigt.
Zur Begründung hat das Sozialgericht insoweit ausgeführt, dass die Fertigung der Kopien zur sachgerechten Bearbeitung der Rechtssache erforderlich sein müsse. Bei der Prüfung der Gebotenheit sei ein objektiver Maßstab anzulegen. Nach Durchsicht der Handakten des Erinnerungsführers sei festzustellen, dass die gefertigten Kopien trotz des großen Umfangs zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache erforderlich gewesen seien. Streitentscheidend sei die Berechnung der Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens aus der selbständigen Tätigkeit des Klägers gewesen. Wegen der Feststellung der einzelnen Berechnungsposten über einen längeren Zeitraum sei es für den Erinnerungsführer notwendig gewesen, die im Laufe der Zeit bei der Beklagten eingereichten Unterlagen auch für seine Handakten vollständig zu kopieren. Die Berechnung der als Werbungskosten zu berücksichtigenden Aufwendungen setze die genaue Kenntnis der einzelnen Positionen voraus. Es sei nicht geboten gewesen, eine Vorauswahl der zu kopierenden Seiten zu treffen, da es wegen der Besonderheiten des Falles auf die Vollständigkeit der Akten angekommen sei.
Gegen den ihm am 4. Februar 2020 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 28. Januar 2020 hat der Erinnerungsgegner am 11. Februar 2020 Beschwerde eingelegt.
Er wendet sich nur noch gegen die Höhe der festgesetzten Kopierkosten. Zu Recht habe bereits die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle darauf hingewiesen, dass bei großzügiger Betrachtung maximal 20 Kopien notwendig gewesen seien.
Er beantragt,
den Beschluss Sozialgerichts Lübeck vom 28. Januar 2020 zu ändern und die Vergütung des Erinnerungsführers auf insgesamt 529,55 EUR festzusetzen.
Der Erinnerungsführer beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt die angegriffene Entscheidung.
II.
Der Senat entscheidet durch den Senat ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter, weil der Einzelrichter die Sache dem Senat mit Beschluss vom 19. November 2020 wegen grundsätzlicher Bedeutung übertragen hat (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Sätze 1 bis 3 RVG.
Die zulässige Beschwerde (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 RVG) ist unbegründet. Der angegriffene Beschluss vom 28. Januar 2020 ist nicht zu beanstanden. Zu Recht hat das Sozialgericht unter Abänderung des Festsetzungsbeschlusses vom 20. April 2012 di...