Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Klagerücknahmefiktion. Betreibensaufforderung. Wegfall des Rechtsschutzinteresses. Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls. anwaltlich vertretener Kläger. ordnungsgemäße Klageerhebung. Klagebegründung. Ausbleiben trotz vorheriger Ankündigung. Berufung auf Nichtbescheidung eines Prozesskostenhilfeantrags
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Wegfall des Rechtsschutzinteresses, der zur Betreibensaufforderung nach § 102 Abs 2 SGG berechtigt, darf erst nach Würdigung aller Umstände des Einzelfalls angenommen werden; bei der Gesamtwürdigung sind die Umstände vor und nach Erlass der Betreibensaufforderung zu berücksichtigen (Anschluss an BSG vom 4.7.2017 - B 4 AS 2/16 R = BSGE 123, 62 = SozR 4-1500 § 102 Nr 3).
2. Die ordnungsgemäße Klageerhebung setzt auch bei anwaltlich vertretenen Klägern eine Klagebegründung nicht voraus. Das Ausbleiben einer Klagebegründung ist aber insbesondere bei deren vorheriger Ankündigung ein bei der anzustellenden Gesamtwürdigung zu berücksichtigender Umstand.
3. Auf die Nichtbescheidung eines mit der Klageerhebung gestellten PKH-Antrags kann sich die Klägerin im Erledigungsstreit nicht berufen, wenn sie an die Bescheidung weder vor Ergehen der Betreibensaufforderung noch innerhalb der Betreibensfrist erinnert hat.
Orientierungssatz
Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Klageerhebung sind für das sozialgerichtliche Verfahren in § 92 SGG abschließend geregelt und lassen keinen Raum für die ergänzende Anwendung des § 253 ZPO.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Itzehoe vom 4. September 2018 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung von Krankengeld über den 14. April 2013 hinaus. Vorgreiflich streitig ist zwischen den Beteiligten, ob das diesbezügliche Klageverfahren durch fiktive Klagerücknahme erledigt worden ist.
Die 1970 geborene Klägerin war bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Nach dem Bezug von Übergangsgeld wegen einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben gewährte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 4. September 2012 ab 9. August 2012 Krankengeld in Höhe von kalendertägig 33,54 EUR brutto. Bis 20. September 2012 befand sich die Klägerin in stationärer Krankenhausbehandlung. Am 21. September 2012 bescheinigte ihre Hausärztin T erstmals Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 16. Oktober 2012. Eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wurde ausgestellt am 16. Oktober 2012 bis zum 2. November 2012.
Am 5. November 2012 suchte die Klägerin erneut ihre Ärztin T auf, die weitere Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich 30. November 2012 bescheinigte. Aktenkundig sind weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 3. Dezember 2012 bis 10. Januar 2013, vom 10. Januar 2013 bis 4. Februar 2013, vom 8. Februar 2013 bis 8. März 2013 und vom 4. April 2013 bis 29. April 2013.
Mit Bescheid vom 4. April 2013 beendete die Beklagte die Krankengeldzahlung mit dem 14. April 2013. Zur Begründung verwies sie auf die zwischen dem 2. und 5. November 2012 bestehende Lücke bzgl. der ärztlichen Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit. Ab dem 5. November 2012 habe deshalb kein Anspruch auf Krankengeld mehr bestanden. Die gleichwohl erfolgte Weiterzahlung des Krankengeldes habe auf einem Irrtum beruht. Da insoweit Vertrauensschutz bestehe, könne die Krankengeldbewilligung mit Wirkung für die Vergangenheit nicht mehr aufgehoben und das gezahlte Krankengeld nicht zurückgefordert werden. Für die Zukunft müsse die Krankengeldzahlung jedoch beendet werden.
Den gegen diesen Bescheid am 15. April 2013 erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 2013 als unbegründet zurück. Sie wiederholte und vertiefte ihre Begründung des angefochtenen Bescheids. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 39 f. der Leistungsakte Bezug genommen.
Gegen den Bescheid vom 4. April 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Juni 2013 hat die Klägerin am 4. Juli 2013 Klage beim Sozialgericht Itzehoe erhoben und zugleich einen Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten gestellt.
Die Klage ist trotz einer entsprechenden Ankündigung in der Klageschrift und trotz Erinnerung mit richterlichen Verfügungen vom 4. Oktober 2013, 7. Januar 2014, 9. Juli 2014, 27. August 2014 und 29. Oktober 2014 weder begründet worden, noch ist eine sonstige Reaktion auf die richterlichen Verfügungen erfolgt.
Mit Betreibensaufforderung vom 11. Dezember 2014 hat die Vorsitzende der 20. Kammer den Bevollmächtigten der Klägerin aufgefordert, das Verfahren dadurch zu betreiben, dass die angekündigte Klagebegründung und ein Klageantrag formuliert wird. Insbesondere hat sie um Beantwortung der Frage gebeten, bis wann die Klägerin Krankengeld begehre. Die Betreibensaufforder...