Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Kriegsopferversorgung. Internierung. zwangsweise Umsiedlung von Russlanddeutschen in eine Sondersiedlung. Atomwaffen-Tests in der Nähe der Zwangssiedlung. atomare Strahlung. keine der Internierung eigentümlichen Verhältnisse
Orientierungssatz
Einwirkungen durch atomare Strahlung infolge von Atomwaffen-Tests in der Nähe des zwangsweisen Aufenthaltsortes sind keine der Internierung eigentümliche Verhältnisse und führen mangels inneren Zusammenhangs mit der Internierung nicht zu einer Entschädigung nach § 1 Abs 1 iVm Abs 2 Buchst c BVG.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 27. März 2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Versorgungsleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der Kläger wurde 1947 in dem Dorf M., Gebiet P. (Kasachstan) geboren. Er lebt seit 1996 in der Bundesrepublik Deutschland und ist gemäß § 4 Bundesvertriebenengesetz als Spätaussiedler anerkannt. Die Eltern des Klägers waren Deutsche und wurden im Jahre 1941 aufgrund des Dekrets des Präsidiums des Obersten Sowjets vom 28. August 1941 aus dem Gebiet S. in das Gebiet Sa. (Kasachstan) ausgesiedelt.
2008 stellte der Kläger bei dem beklagten Land einen Antrag auf Gewährung von Entschädigungsleistungen. Zur Begründung führte er aus, seine Eltern seien als Wolgadeutsche im Zweiten Weltkrieg nach M. umgesiedelt worden. Er sei dort unter besonders schwierigen Verhältnissen aufgewachsen. Seit 1949 seien in dem 25 km entfernten Atomwaffentestgelände Sa. Atomwaffentests durchgeführt worden. Durch die Strahlung habe seine Familie schwere physische und psychische Schäden erlitten. Die Familie habe bis 1956 unter Kommandanturaufsicht gestanden und sich nicht außerhalb ihres Wohnortes ansiedeln dürfen. Nach Aufhebung der Kommandanturaufsicht im Jahre 1956 sei es ihnen wegen des etwa 25 Kilometer entfernten Atomwaffentestgeländes auch weiterhin verboten gewesen, das Gebiet zu verlassen. Aus Gründen des Geheimhaltungsschutzes sei es auch den in dem Gebiet lebenden Kasachen untersagt gewesen, sich an einem anderen Ort niederzulassen. Dieser Zustand habe bis Mitte der 1960er Jahre oder bis 1973 (KSZE-Konferenz in Helsinki) angedauert. Er habe von 1954 bis 1965 die örtliche Musik- und Mittelschule besucht und dort das Abitur ablegt. Die Aufnahme eines Medizinstudiums in Kasachstan sei ihm wegen seiner deutschen Volkszugehörigkeit untersagt gewesen. Er habe ein Fernstudium an der Moskauer Pa. aufgenommen; ein Direktstudium sei ihm wegen seiner deutschen Volkszugehörigkeit und wegen des Ausreiseverbots aus dem Wohnort in Kasachstan nicht möglich gewesen. Nach zwei Semestern sei er von 1966 bis 1969 in die sowjetische Armee eingezogen worden. Nach der Entlassung habe er Wirtschaftspolitik und Geschichte in Sa. studiert und anschließend ein Fernstudium in der kasachischen Hauptstadt A. aufgenommen. In Sa. habe er als Pädagoge gearbeitet und in den 1990er Jahren promoviert. Im Jahre 1994 seien alle nichtkasachischen Fachkräfte aus dem Dienst des kasachischen Bildungsministeriums entlassen worden. Am 22. März 1996 sei er nach Deutschland ausgereist. Er habe an der V. in H. unterrichtet. Aufgrund der Strahlenbelastung durch die Atomwaffenversuche sei es zu Hautentzündungen, zur Gallen- und Schilddrüsenentfernung sowie zu einer Pyelonephritis und einer Glomerulonephritis gekommen.
Das beklagte Land lehnte mit Bescheid vom 17. November 2008 den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, der Kläger könne allenfalls eine Schädigung infolge einer Internierung im Ausland oder in nicht unter deutscher Verwaltung stehenden deutschen Gebieten infolge seiner deutschen Staats- oder Volkszugehörigkeit geltend machen. Er sei jedoch in Kasachstan nicht interniert gewesen. Die Internierung setze in der Regel die Unterbringung auf einem eng begrenzten Raum, z. B. in einem Lager oder einem Gefängnis, unter dauernder Bewachung voraus. Dieser Zustand müsse im Zusammenhang mit dem Krieg, kriegerischen Ereignissen oder einem Zustand drohender Kriegsgefahr bestanden haben. Der Kläger habe sich in seinem Wohnort M. frei bewegen und dort als Lehrer arbeiten können. Daher sei er zwar in seiner persönlichen Freiheit eingeschränkt gewesen, die Freiheit sei ihm aber nicht entzogen gewesen.
Mit seinem Widerspruch vom 15. Dezember 2008 machte der Kläger geltend, er habe bis 1956 unter Kommandanturaufsicht gestanden und sei damit im Sinne des § 1 BVG festgehalten worden. Auch die Zeit von 1956 bis 1965 sei als Internierungszeit anzuerkennen, da er nur wegen seiner deutschen Volkszugehörigkeit in das Gebiet um Sa. gekommen, dort festgehalten worden und der Strahlenbelastung ausgesetzt gewesen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2009 wies das beklagte Land den Widerspruch zurück ...